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Kunst, Kitsch und heiße Zeiten

Es ist der 9. Tag der Berlinale, die Spielfilme im Wettbewerb waren fast alle schon zu sehen und die Meinungen differieren, dass es eine Freude ist. Nur in einem sind sich alle einig: Das Meisterwerk, der Film des Jahres, war bisher nicht dabei und wird hier vermutlich auch nicht mehr kommen. Schön, oder zumindest in anderer Weise - hm - interessant, wars trotzdem immer wieder. Etwa in Yoji Yamadas "Kakushi Ken - Oni no Tsume" ("The Hidden Blade"). Der Film handelt vom alten Japan zur Zeit der Öffnung gegenüber dem Westen. Katagiri ist ein Samurai von niedrigem Rang, konfrontiert mit einer Intrige, in deren Verlauf er zum Zweikampf auf Leben und Tod mit einem alten Freund gezwungen wird. Zugleich ist der Film auch eine Liebesgeschichte zwischen Katagiri und seinem Hausmädchen, eine aus Standesgründen unmögliche Verbindung. Aber vor allem ist er eine Liebeserklärung an das alte Japan. Sehr einfühlsam und in Bildern, die nach dem Vorbild japanischer Farbholzschnitte gestaltet sind, erzählt die Kamera vom Leben dieser Zeit so unspektakulär und überzeugend, dass man sich selbst dabei manchmal fast vergisst. Obwohl Beispielen japanischer Filme der Fünfziger wie von Akira Kurosawa folgend, erscheinen manchmal die Bilder, aber auch die Situationen und Wendungen wie noch nie dagewesen. "Kakushi Ken - Oni no Tsume" ist als Historienfilm das Gegenteil von Kitsch. Weniger erfreulich gestaltete sich das Erlebnis des Films "Fateless" von Lájos Koltai nach dem "Roman eines Schicksallosen" von Imre Kertész. Zum Morricone-Sound kommen Filmbilder, die aussehen wie bräunlich verfärbtes, handkoloriertes Schwarzweiß. Diese sentimental-suggestive Soße ergießt sich mehr als zwei Stunden lang über die Geschichte eines 15-jährigen ungarischen Juden, der verschiedene KZs, darunter Auschwitz, überlebte. Und das Unvorstellbare geschieht: Die Bilder, die dem Publikum von Terror, Hunger, Elend und Tod erzählen sollen, sind unglaublich schön anzusehen. Richtig lecker! Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Deshalb stellen wir hier der Einfachheit halber fest: Geschmackloser geht es eigentlich nicht. "Solnze", "Die Sonne", nannte Alexander Sokurov nach "Moloch" über Hitler und "Taurus" über Lenin seinen dritten Film über eine historische Persönlichkeit. Die Sonne, das ist der japanische Kaiser Hirohito, dargestellt an einem Wendepunkt seines Lebens. Im Sommer 1945 rief Hirohito seine Soldaten, die bereit waren, bis zur völligen Vernichtung zu kämpfen, auf, die Kampfhandlungen einzustellen. Der Film porträtiert diesen Kaiser, der kurz darauf auch seinen Anspruch, göttlich zu sein, aufgibt, als bescheidenen Menschen und zeigt kammerspielartig seine Treffen mit dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungsarmee in Japan, General Douglas McArthur. Fast immer in dunklen, biedermeierlich eingerichteten Zimmern, umgeben von Dienern mit gemessenen Bewegungen, kalligraphiert Hirohito Poesie oder befragt einen Wissenschaftler zum Phänomen des Nordlichts, während in seinem Kopf Entscheidungen reifen, mit denen er sich und vielen anderen das Leben rettet. Sokurovs Erzählweise ist bemerkenswert knapp und zugleich subtil. Dass es kaum Außenaufnahmen gibt, spiegelt den inhaltlichen Aspekt der Introspektion. Zugleich schafft die Form Äquivalente zur Isoliertheit dieses Kaisers und zum Verlust und der Erneuerung von Realität. "Solnze", "Die Sonne", steht auf dieser Berlinale im Zenit. Kakushi Ken - Oni no Tsume / The Hidden Blade Japan 2004, 132 min. Regie: Yoji Yamada Mit: Masatoshi Nagase, Takako Matsu, Hidetaka Yoshioka, Yukiyoshi Ozawa, Tomoko Tabata, Reiko Takashima Link zum Film Fateless Ungarn, Deutschland, Großbritannien 2004, 130 min. Regie: Lájos Koltai Mit: Marcel Nagy, Miklós B. Székely, Zoltán Bezerédy, Péter Vall Link zum Film Solnze / The Sun / Die Sonne Rußland, Italien, Frankreich 2004, 110 min. Regie: Alexander Sokurov Mit: Issey Ogata, Kaori Momoi, Shiro Sano, Robert Dawson Link zum Film
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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