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Wiedersehen im Central Park

Seit den frühen Jahren des Kinos ist es vor allem eine Großstadt, die protoypisch verkörpert, was zum modernen Leben gehört: New York. In "Birth" steht dieser Ort für das Kühle, Rationale und Aufgeklärte und bildet damit einen reizvollen Kontrast zu der Geschichte, die sich alsbald vor und in den Hochhäusern entrollt. Ein zehnjähriger Junge behauptet, die Reinkarnation des verstorbenen Ehemanns der 35-jährigen Anna zu sein, einer intelligenten Upper East Side-Schönheit, die eben im Begriff ist, sich nach langer Trauer wieder zu verheiraten. Natürlich verneint der Verstand diese Möglichkeit. Doch dann ist es gerade die Ratio, die den Glauben an das Unglaubliche zu untermauern scheint: Zum Beweis seiner Identität nennt der Junge Einzelheiten aus dem Leben des verstorbenen Sean. Anna beginnt, an die Wiederkehr ihres geliebten Gefährten zu glauben. Der schon lange für Musikclips wie "Rabbit in Your Headlights" zu dem Song von U.N.K.L.E. geschätzte Regisseur Jonathan Glazer bewegt sich in seinem zweiten Spielfilm gekonnt in einer Grauzone. Die romantische Sehnsucht nach einer Liebe, die den Tod überwindet, ist ein uneingestandener, aber fest verwurzelt Bestandteil des kollektiven Unbewussten unserer Kultur, mag die Ratio auch noch so sehr dagegen halten. Außerdem ist das Thema in Amerika gut angesiedelt, wo doch im 19. Jahrhundert der Spiritismus dort entstand. In Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, der schon mit Luis Bunuel das Script für "Belle de Jour" verfasste, und gemeinsam mit den kühlen Bildern und elegischen Kamerafahrten von Harris Savides gelingt es Jonathan Glazer, ein Dilemma unserer Gegenwart vor unseren Augen aufzubreiten: Den Widerspruch von Verstand und Gefühl. Man ist der Ratio verpflichtet, doch möchte man auch an etwas glauben können. Und Anna will glauben, dass der Junge die Reinkarnation ihres verstorbenen Liebsten ist, denn das wäre der Beweis dafür, dass dieser ebenso stark für sie empfunden hat. Dank einer überraschenden Enthüllung erfahren wir mehr darüber, Anna allerdings erfährt es nicht, hätte es wahrscheinlich aber ahnen können. In "Birth" enttarnt Glazer das Ideal romantischer Liebe als säkulare Parallele zu dem Wunsch nach dem Übernatürlichen, nach einem Konzept wie Gott, das größer ist als man selbst. Der Schluss skizziert zwei mögliche Szenarien: Wer wissen will, wird zumindest zweifeln. Anna dagegen, die nichts wissen, sondern glauben will, verzweifelt.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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