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Jacques Derrida 1930 - 2004

Der Denker der Gegenwart

Der bedeutendste Denker der Gegenwart ist tot. 1998 hatte Jacques Derrida in einem bewegenden Nachruf Jean-Francois Lyotard zu Grabe getragen. Nach Michel Foucault und Gilles Deleuze war der dritte aus der Viererbande der nachmetaphysischen Meisterdenker ausgefallen: Nun bliebe es allein an ihm, grübelte Derrida seinerzeit, die Botschaft weiterzutragen, die Kunde gab von der Unmöglichkeit einer Botschaft. Nun ist auch er nach langer Krankheit gestorben. Man darf gespannt sein, wer sein Fähnlein hochhält. Die vielen Dampfplauderer aus dem Kunstbetrieb werden es nicht sein. Derrida eignete sich erbärmlich schlecht für das Referieren und Interpretieren und Aufladen seiner Gedanken in all den Reviews und Previews, in denen sich die hierorts "Theorie" genannten Rechenschaftsberichte zu verstehen geben.

Derrida hatte keinen der vorderen Ränge im "Citation Index". Und wenn die Sekundärliteraturen nicht recht mit ihm umgehen konnten, so auch all die Vielbeschäftigten, die sich ihrer bedienen. Wie kein zweiter seines Ranges blieb Derrida vom Kunstbetrieb verschont. So machte er sich seine Ästhetik selber. "Die Wahrheit in der Malerei", erschienen 1978, wäre durchaus etwas für Kuratoren, so sie denn läsen. Derridas Denken ist getränkt von Ethik, und sein Kernprogramm, die unendliche Suspendierung von Sinn, nichts anderes als eine profunde Kritik der Toleranz.

"Différance", sein Zauber- und Kunstwort, geprägt in der 1967 publizierten "Grammatologie", setzt sich zusammen aus den zwei französischen Begriffen für Aufschieben und für sich Unterscheiden. Nicht "différence", der geläufige Ausdruck für jene Andersheit, von der heutzutage jeder Siebzehnjährige ausgeht, ist damit gemeint, sondern die Bereitschaft, der Sprache zu folgen und nicht dem Ego, das Bemühen, sich tragen zu lassen von den Kräften einer unmöglich gemachten Bedeutung.

Zweifellos stand Derrida, und genau das macht seinen Status aus, Pate, als die Postmoderne den geläufigen Duktus abendländischer Selbstverständigung in Frage gestellt hat. Die seither großgeschriebenen Alternativen allerdings finden sich nicht auf Derridas Liste. Die lesbische Drittweltaktivistin geht dem Willen zur großen Wegweisung nicht weniger auf den Leim als der gichtbrüchige Logozentriker. Worum es Derrida zu tun war, ist Irritieren. Was die Parteigänger der Differenz dagegen betreiben, ist Arretieren. Derridas Bedeutung muss erst noch ermessen werden.

Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
---y---
christian maryska | 12.10.2004 09:29 | antworten
der schönste nachruf, den ich über derrida gelesen habe.

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