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Die Lebensreform: Wir nennen uns du

Sie waren die Vorfahren der Birkenstock-Generation und des büstenhalterfreien Feminismus, aber auch des nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Wahns. Wir sehen Hermann Hesse beim Nacktklettern und den bärtigen Gesundheitsapostel Wilhelm Diefenbach beim Umgraben der Gemüsebeete auf dem Monte Verita, vor allem aber wieder und wieder nackte Damen und Jünglinge mit Schalmeien und Pferden am morgendlichen Meeresstrand oder im Gebirge. Kein Wunder, daß Ludwig von Hofmann der Lieblingsmaler von Thomas Mann war. Überhaupt scheinen nackte Brüste ein Hauptmerkmal der Lebensreform um 1900 im nicht eben tropisch heißen Deutschland gewesen zu sein. Vom Walrossbart Friedrich Nietzsches (nur selten, und nicht sehr überzeugend, versuchte man ihn als nackten Frühlichtmenschen zu portraitieren) führen die Wege in viele Richtungen: zu den Theo- und Anthroposophen und den Monisten, zu Eurhythmie und Ausdruckstanz, zu den phallischen Kristalldomen der "gläsernen Kette", den Tierbildern von Franz Marc, zu den am Ende nur noch nervtötenden Lichtgestalten eines Fidus und zur unerträglichen Darstellung eines blonden Paars, das die sündigen schwarzen Afrikaner (von wegen edle Wilde!) in den Abgrund stößt. Neben hunderten Darstellungen neuer Menschen u. a. von Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Max Beckmann, Frantisek Kupka, Ferdinand Hodler und Kolo Moser wird der Alltag im neuen Leben gezeigt: Reformkleider von Henry van de Velde, Kneipp-Sandalen mit Zehensocken, Tuniken und Wanderstiefel der Wandervögelinnen, elektrische Lichtbad-Kabinen, Einweckgläser, Entsafter, Pessare. Trotz der Fülle der Exponate (und des Umfangs des ca. 6 Kilo schweren und rund 1300 Seiten starken Katalogs) verliert man sich im Ausstellungsgebäude der einstigen Künstlerkolonie Mathildenhöhe nicht im Beliebigen. Die Utopie der Mathildenhöhe bekam ihrerseits bereits nach wenigen Jahren Risse, als eine Reihe von Künstlern, darunter Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens, wegen persönlicher Differenzen auszog. www.dielebensreform.de
Mehr Texte von Iris Meder †

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Die Lebensreform
21.10.2001 - 24.02.2002

Institut Mathildenhöhe Darmstadt
64287 Darmstadt, Olbrichweg 13
Tel: +49 (0) 6151 13 27 78, Fax: +49 (0) 6151 13 37 39
Email: instmath@stadt.darmstadt.de
http://www.darmstadt.de/kultur/museum/instmath.htm
Öffnungszeiten: Di - So 10.00 bis 18.00 Uhr, Mi 10.00 bis 20.00 Uhr


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