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Nach dem Ausnahmezustand sind Zimmer Frei

16 Tage lang beherrschen Übertourismus und Ausnahmezustand die Stadt, bevor im Oktober plötzlich Stille einkehrt. Erbrochenes verschwindet von den Straßen und in den Hotels sind wieder Zimmer frei.

Die Ausstellung Zimmer Frei im Hotel Mariandl, markiert seit 25 Jahren eine Rückkehr zur Normalität in München. Einen Steinwurf von der Theresienwiese entfernt, wo in der Zwischenzeit das Oktoberfest abgebaut wird, übernehmen jedes Jahr 12 Künstler:innen das Hotel. Eine schöne Tradition, die den Herbst einläutet, und ein schlaues Konzept, das die Zimmer wieder füllt. Auf zwei Etagen des denkmalgeschützten Belle-Époque-Gebäudes begegnet man kurz nach der Wiesn nicht mehr problematischen Touristen, sondern kritischer Kunst. Während der Hotelbetrieb parallel weiterläuft, verwandeln die Künstler:innen ihre Zimmer in situative Kunstwerke. Einen inhaltlichen Leitfaden gibt es nicht, doch schien in der diesjährigen Ausgabe das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber von besonderem Interesse zu sein.

In Sara Mayoral Jiménez’ Hotelzimmer hängt ein langer Streifen von der Decke, an dem die Fliegen kleben. Über dem Bett werden die Insekten gefangen. Mit La Siesta transportiert sie die Besucher:innen in ihre Heimat, die spanische Provinz Castilla-La Mancha. Dafür hat sie das Zimmer in eine klimatische Kapsel verwandelt: Auf einmal ist es sehr warm, vermeintliches Sonnenlicht scheint hell durch das Fenster und der Raum riecht irgendwie nach Essen. Es ist der Geruch von frisch gekochter spanischer Schweinesuppe. Sensorische Erfahrungen wie diese dienen der Künstlerin als affektives, aber auch politisches Medium, denn Gastfreundschaft versteht sie weniger als Geste, und mehr als gemeinsames Klima

Beim Betreten von Zimmer 25 konfrontiert Silvia Gardinis Installation I know what you did in Pattaya, die Betrachtenden mit der eigenen Rolle als Tourist:in – und damit einhergehender politischer Implikationen. Das kleine Zimmer ist abgedunkelt, die Vorhänge sind zugezogen, und man steht unangenehm nah vor einem unordentlichen Bett. In ihm liegt eine leuchtende Vitrine für Speisekarten, wie sie oft draußen vor Restaurants hängen. Anstatt einer Speisekarte enthält die Vitrine jedoch eine Zeichnung, die Elemente tropischer Landschaften zeigt. Unter der Decke blitzen gelbe Blumen hervor, vielleicht kennt man sie aus dem eigenen Thailand-Urlaub. Es ist eine eindrückliche Gegenüberstellung kultureller Identität und der feinen Gratwanderung zwischen Interesse und Aneignung. Sextourismus erscheint in Zimmer 25 nicht als Randerscheinung, sondern als etablierte postkoloniale Praxis, die alle Besucher:innen adressiert.

Machtgefälle zwischen Gast und Gastgeber bestehen auf vielen Ebenen. Chaeeun Lee begleitete für die Ausstellung das Reinigungspersonal des Hotels und lernte den Ort aus der Perspektive jener Gastgeber kennen, die meist unsichtbar bleiben. Zimmer 13, ein Mehrbettzimmer, wurde dafür zu einem ortsspezifischen Archiv, das flüchtige Existenzen sichtbar macht. Alles scheint sauber, die Einzelbetten ordentlich hergerichtet, und doch verraten kleine Falten in den Laken, oder leise Audioaufnahmen im Hintergrund die Präsenz der vielen Personen, die sich im Hotel Mariandl bewegen.

Hotelzimmer bilden eine seltsame Schnittstelle zwischen Intimität und Öffentlichkeit. In ihnen kommt zum Vorschein, was in den eigenen Schlafzimmern oft untergeht: Das Bett (egal wo es steht) ist ein kulturelles Instrument, auf dessen Fläche gesellschaftliche Hierarchien verhandelt werden. In der Ausstellung wurde es zur Projektionsfläche für Machtstrukturen und Eskapismus und genau deshalb sind Hotelzimmer ein toller Ort für Ausstellungen. Zimmer Frei sensibilisierte die Besucher:innen in diesem Jahr für das, was oft nicht mehr wahrgenommen wird. Denn Dinge, an die wir gewöhnt sind, tendieren dazu, aus unserem Blick zu verschwinden.

In diesem Jahr fand die Ausstellung zwischen dem 14. und dem 19. Oktober statt.

Ich freue mich schon auf nächstes Jahr, wenn das Oktoberfest wieder vorbei ist und München zur Ruhe findet.

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Hotel Mariandl
Goethestraße 51
80336 München
⤇ Zur Website Zimmer Frei

Mehr Texte von Veronika Beck

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