Hysterie und Historie
Das Prinzip Tourist im Museum ist für mich immer ein zweischneidiges Schwert. Bräsig möchte ich die Massen teilen wie Moses das rote Meer und rufen “Platz machen, ich interessiere mich wirklich dafür” (selbstverständlich implizierend, dass das Prinzip Tourist in erster Linie sich nicht interessiert, sondern sich fotografiert). Aber ich möchte ihnen auch die Chance geben, mich eine elitäre, die Kunst in Beschlag nehmende Betriebsnudel zu schimpfen, da sie sich auch dafür interessieren können, wenn sie ein Foto davon oder davor machen. Meistens unterstelle ich dem Prinzip Tourist aber eher sensationsgeile Teilnahmslosigkeit. Im Musée d’Orsay eines Nachmittags frage ich mich, warum sich eine Traube Menschen vor einem eher nicht so auffälligen Van Gogh bildet. Es war eine Starry Night. Nicht die Starry Night, aber wen interessiert das schon, das steht im Titel und jetzt kann ich auf Instagram posten, dass ich vor der Starry Night stand. Nicht die Starry Night, aber das wissen die auf Instagram doch nicht.
Friedrich Heysers “Ophelia” ist eigentlich das eher unbekanntere der Ophelia-Gemälde, aber genau dieses wurde jetzt mit einem Internethype geadelt (verdammt?). Die Anfangsszene von “The Fate of Ophelia”, der Single-Auskopplung des neuen Taylort Swift-Albums nutzt ebendieses Gemälde als Inspiration und nicht das weitaus bekanntere von John Everett Millais.
Man kann dem Prinzip Swiftie viel vorwerfen, aber nie bleibt irgendein Detail unbeobachtet.
Taylor Swift ist bekannt für ihre sogenannten “Eastereggs”, kleine Botschaften, Brotkrümel, die sie in so ziemlich allen Dingen, die sie betreffen, versteckt: Interviews, Songs, Posts, Merch und Musikvideos. Die ergebenen Fans sind erstaunlich gut und vor allem beeindruckend verbissen darin geworden, alles zu entschlüsseln. Bisweilen verrennen sie sich auch ein wenig. Jetzt gerade rennen sie aber ein - die Türen des Museums Wiesbaden, dort hängt die Heyser-Ophelia.
Die Tate Britain, dort hängt die Millais-Ophelia, hat sich allerdings die Instagramisierung des Prinzips Tourist zu nutze gemacht und postet “This is the real Fate of Ophelia”. Nicht frei von Dreistigkeit aber erstaunlich feinfühlig für den Zeitgeist. “Well played, Tate” schreibt ein Kommentar. Das finde ich auch. Ich weiß nicht, wie es sich in den Besucherzahlen der Tate bemerkbar macht, aber ich traue ein paar verlorenen Fans schon zu, zur falschen Ophelia zu pilgern.
In den Besucherzahlen des Museums Wiesbaden hat es sich wohl ziemlich schnell bemerkbar gemacht. Nun soll sie an einen prominenteren Ort umgehängt werden, und es soll ein Event rund um Taylor Swift geplant werden. Zumindest seien die Fans der Kunst gegenüber respektvoll, heißt es. Die Standard-Postings, genau so wie stets frei von jeder Bräsigkeit, sind zumindest glücklich, dass die Swifties nicht mehr in der Corneliusgasse herumgeistern. Das war die letzte Taylor Swift Pilgerstätte. “Jetzt is a ruah” - nur nicht für das Museum Wiesbaden. Und in meinem Vertrauen an das Prinzip Tourist / Swiftie wage ich zu behaupten, auch nicht für die Tate.
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