Hanne Darboven, Julia Gaisbacher. Gezählte Stunden: Minimalismus und Systeme
Die Zeit der Archive und Sammlungen in Wien ist gekommen – und zwar erneut. Dazu zählen nicht nur konventionelle Sammlungspräsentationen, die den Bestand einer Kunstsammlung zeigen, sondern auch solche, die die herausragende Sammlerpersönlichkeit in den Mittelpunkt stellen. So hat die Wiener Galerie Crone kürzlich den im Jahr 2023 verstorbenen Kunstsammler und Kunstmäzen Harald Falckenberg auf diese Weise geehrt. Der renommierte Hamburger integrierte nebenbei verblüffende Dinge in seine Sammlertätigkeit – und das mit gleicher Passion und Elan.
In der aktuellen Ausstellung, die im Rahmen des Festivals „FOTO WIEN 2025” stattfindet, folgt man diesem Pfad unbeirrt weiter. Diesmal geht es in der investigativen Introspektion um die berühmteste Konzeptkünstlerin Deutschlands, Hanna Darboven (1941–2009). Die Grand Dame der europäischen Kunst und mathematischer Logik lebte über 30 Jahre in der Nähe von Hamburg. Sie war nur zwei Jahre älter als der namhafte Kunstsammler. Gewiss hat er auch ihre anspruchsvollen, die Zeit messenden Werke in seiner Sammlung. Ihre Kunst stand schließlich für die deutsch-amerikanische (Kunst)Freundschaft, die er so schätzte.
1966 zog Darboven nach New York, wo sie Freundschaften mit Konzeptkünstlern und Minimalisten der ersten Stunde wie Carl Andre und Sol LeWitt schloss. Bereits damals entstanden ihre ersten seriellen, konstruktionsartigen Zeichnungen auf Millimeterpapier, in die sie ihre spezifischen zeitlichen Koordinaten einbezog. In der Ausstellung „Gezählte Stunden” sind ihre drei mehrteiligen Großhochformate aus dem Jahr 1991 zu sehen – aus einer Zeit, in der die Puritaner wieder auf dem Vormarsch waren. Die Arbeit „Stundenbuch“, die aus 84 Fotocollagen besteht, zählt zu Darbovens seltenen fotografischen Werken. In dieser Arbeit, die mittelalterliche Manuskripte für private Gebete nachspürt, wird die rasende Zeit durch die schwungvolle Linie mit gleichwertigem Impetus dargestellt – meditativ und klangvoll wie die Gebete selbst. Sowohl diese Arbeit als auch „Gustav Stresemann posthum“, bei der sie Fotografie einsetzte, zeigen Darbovens fast schon bürokratische Stringenz und Disziplin. Sie sind jedoch nicht das Hauptthema dieser Präsentation.
Darbovens raumgreifenden, monumentalen Werke stehen nämlich in Verbindung mit den schwarzweißen, kleinformatigen Arbeiten der Fotografin und Videokünstlerin Julia Gaisbacher (*1983). Die Österreicherin, die sonst über Architektur, Urbanismus und Gesellschaft recherchiert, zeigt uns eine unerwartete, weil materielle Facette der deutschen Künstlerin, die normalerweise künstlerisch in der Welt der Konzepte und Immaterialität unterwegs war und deren Ausstellungen sich durch eine entschiedene Ordnung und kristalline Klarheit auszeichnen. In dem Projekt „Am Buchberg“ befasst sich Gaisbacher mithilfe einer digitalen Kamera und anderer Werkzeuge mit der Dokumentation und Interpretation der ehemaligen Atelier- und Wohnhäuser von Hanne Darboven in Hamburg-Harburg.
Das Projekt gibt ausgewählte, vielschichtig aufgenommene und raumschaffende Einblicke in das ziemlich chaotische und äußerst dicht organisierte Sammeluniversum der Künstlerin – eine riesige, persönliche „Wunderkammer“, die nach Gleichartigem sucht. Was man zu sehen bekommt, ist ebenso verwirrend wie faszinierend, auch ohne Kenntnis der einzelnen Geschichten dahinter. In ihren smarten Fotografien hebt Gaisbacher einzelne Details wie einen ausgestopften Wolf, einen Giraffenkopf, eine alte Ledertasche oder ein grobes hölzernes Pferd hervor. Diese wirken wie besondere Trophäen. Es sind zugleich materielle Spuren eines anderen Lebens, das die Künstlerin selbst nicht geführt hat, führen wollte oder konnte. Markiert diese ungeheure Sammlung vielleicht den Zusammenbruch alter (sozialer) Systeme? Auch die Fotos, die wiederholt die Abwesenheit des Subjekts widerspiegeln, fallen auf. Sie vermitteln nicht, worum es genauer geht, laden die Betrachter:innen aber zur aktiven Partizipation an diesem geheimnisvollen Gedankenspiel ein. Das lediglich an die Wand gelehnte, collagierte Porträt der äußerst exzentrischen Konzeptkünstlerin, das ca. vier Mal größer ist als die anderen Fotos Gaisbachers mag eine verlockende Einladung darstellen, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Mehr Texte von Goschka Gawlik 17.10. - 15.11.2025
Crone Wien
1010 Wien, Getreidemarkt 14
Tel: +43 1 581 3164
Email: info@galeriecrone.com
http://www.galeriecrone.com/
Öffnungszeiten: Di-Fr 14-18, Sa 11-15 h
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