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Ferdinand Georg Waldmüller: Fuschl am See

Das Bild zeigt eine Ansicht aus dem österreichischen Salzkammergut. Es stammt von Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865). Waldmüller, der häufig nach England und Frankreich reiste, galt als herausragender Naturalist und war für seine Fähigkeit bekannt, Landschaften mit akribischer Exaktheit wiederzugeben. Seine Malerei beruhte auf der Überzeugung, dass wahre Schönheit nur durch das genaue Studium der Wirklichkeit entstehen könne. Zwar idealisierte er in seinen Genrebildern gelegentlich bäuerliche Szenen, doch seine Landschaftsdarstellungen gelten als verlässliche Zeugnisse des Zustands von Natur und Umwelt im 19. Jahrhundert. So auch dieses Gemälde, das sich wie eine Cinemascope-Aufnahme in die Breite erstreckt. In der Mitte leuchtet der Fuschlsee in tiefem Blau, sein Ufer von Sandbänken gesäumt, die sich als feine, helle Linien in die Tiefe ziehen. Wälder und Wiesen begleiten seinen Verlauf, während sich im Nordwesten des Sees – kantig und scharf gezeichnet – die Spitze des Schafbergs erhebt. Seine Silhouette schneidet wie eine Klinge in den klaren Himmel und bildet den einzigen geometrischen Kontrast in einer sonst harmonisch fließenden Natur. Waldmüllers Farbpalette ist geprägt von leuchtender Klarheit: das satte Grün der Vegetation, das strahlende Blau des Wassers, die Nuancen des Lichts. Seine Arbeitsweise, die auf lasierenden Farbschichten basiert, lässt in manchen Bildern Spuren von Skizzenhaftigkeit oder gar scheinbarer Unvollständigkeit erkennen. Auch in diesem Gemälde findet sich ein rätselhafter Bereich – großflächig, nahe dem rechten unteren Bildrand. Dort wirkt die Landschaft wie ausgewaschen. Eine diffuse Wolke aus orangefarbenem Farbnebel überzieht den Hang, an dem eine Wiese zum See abfällt. Sie reicht bis zu einer Scheune mit Satteldach, deren Umrisse von dieser seltsamen Verfärbung beinahe verschluckt werden.

Ist es nur eine unfertige Stelle? Eine verwischte Unterzeichnung? Oder hat Waldmüller bewusst etwas festgehalten, das sich erst in der Zukunft ereignen würde? Denn in ihrer Erscheinung hat diese Zone etwas Bedrohliches – als hätte ein Feuersturm das Bild erfasst, als lodere eine unsichtbare Flamme, die sich durch die Landschaft frisst. Ein Inferno, das erst die Gebäude verschlingt, dann das Tal erreicht und schließlich den gesamten See erfasst. Waldmüller, der Naturalist, als Prophet einer kommenden Katastrophe? Ein visionärer Futurist, der nicht die Landschaft malte, wie sie war, sondern wie sie werden wird? Könnte es sein, dass er – lange vor der heutigen Klimakrise – ein Phänomen erahnte, das mittlerweile zur denkbaren Bedrohung geworden ist? Wenn dem so wäre, dann wäre sein Werk nicht nur ein historisches Dokument über den Zustand der Natur im 19. Jahrhundert, sondern zugleich eine Vorahnung dessen, was ihr droht: ein apokalyptisches Inferno, das über die unberührte Natur hinwegfegt. Waldmüller wäre dann ein Science-Fiction-Illustrator, ein posthumaner Existenzialist – ähnlich wie Edvard Munch, von dem der dänische Philosoph Nikolaj Schultz kürzlich behauptete, »Der Schrei« sei weniger ein Ausdruck persönlicher Qual als vielmehr eine Vision eines implodierenden Planeten. Die gelben und roten Schlieren am Himmel über dem Blau eines zerrinnenden Fjords, so Schultz, seien nichts anderes als das Wetterleuchten der unausweichlichen Klimakatastrophe. Auch Waldmüllers Landschaft scheint unwiederbringlich zerstört. Hat er den Feuersturm der Zukunft imaginiert – das Fiasko, das Mensch und Natur gleichermaßen vernichtet? Oder ist die rätselhafte Stelle doch nur das Resultat eines Missgeschicks im Atelier? Eine ätzende Substanz, die sich durch die Pigmente gefressen hat? Fest steht: Just an dieser Stelle in Fuschl, wo sich im Bild die verbrannte Zone erstreckt, befindet sich heute das Hauptquartier von Red Bull. Hier ließ der Getränkekonzern moderne Rundbauten aus Glas und Stahl zwischen künstliche Teiche setzen – eine vorgebliche Enklave im 21. Jahrhundert, die mit den romantischen Landschaftsvisionen des 19. Jahrhunderts kokettiert, und zugleich den Bogen zum Fernen Osten schlägt. Denn es war in Thailand, wo der Firmeninhaber Dietrich Mateschitz die Rezeptur für sein aufputschendes Getränk entdeckte. Vielleicht hat Waldmüller ja auch bereits ein ähnliches Experiment gewagt – und damit nicht nur seine Pigmente, sondern gleich seine gesamte Landschaft verätzt.

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Abbildung: Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865)
Der Fuschlsee mit dem Schafberg, um 1835
Öl auf Karton, 28,6 × 45,0 x 0.5 cm 
Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein, Vaduz-Vienna
© LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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