
Hasso Gehrmann (1924 – 2008) Künstler, Designer und Philosoph: Vom Tafelbild zur Metakunst
Künstler, Designer und Philosoph, so kann man Hasso Gehrmann beschreiben. Ihm, der über das Gesamtkunstwerk hinausgehend agierte, widmet das Vorarlberg Museum eine umfassende Schau zum 100. Geburtstag. Als KuratorInnen konnte man Lucas Gehrmann (den Sohn und selbst Kunsthistoriker) und Ute Pfanner gewinnen.
1924 in Weißenfels an der Saale geboren, musste Hasso Gehrmann mit achtzehn Jahren zur Wehrmacht einrücken. Es entstanden erste Zeichnungen auf Papier. Auch kam er erstmals mit der von den Nationalsozialisten als „entartet“ definierten Moderne in Berührung, die sein Leben nachhaltig prägte.
Nach der Befreiung aus der US-Kriegsgefangenschaft 1945 wurde Hasso Gehrmann Künstlerischer Leiter der Kunstwerkstätte Bernitzke in Heidelberg. Das Studium der Philosophie und Kunstgeschichte konnte er parallel betreiben und sein Einkommen unter anderem als Künstler und Kartograph bei der US Army verdienen. Mit seinen abstrakten „Zeichentafeln“ war Hasso Gehrmann in den 1950er Jahren in international renommierten Ausstellungshäusern wie im Salon des Réalités Nouvelles Paris zu Gast, wo er auch einen der Hauptvertreter des Kubismus – George Braque – kennenlernte. Der avantgardistische Pablo Picasso, damals in der Nachkriegszeit in Paris für eine ganze Künstlergeneration tonangebend, sollte eine wichtige Inspirationsquelle für Gehrmanns Kunst werden, wie auch Paul Klee – wie seine dekonstruierten „Profil“-Porträts zeigen.
Das Spektrum seiner Darstellungen reicht von einem expressiven Realismus der Nachkriegszeit über die Reduktion auf gestische und mimische Merkmale bis zu biomorphen Abstraktionen. In seinen „Zeichentafeln“ und „Kompositionen“ tauchen Chiffren und Codes für Gesichter, Pflanzen, Felsen, Menschen- und Himmelskörper auf, die im Einzelnen nicht erkannt oder decodiert werden müssen, um ihre Botschaft zu verstehen.
Nach Absolvierung der Werkbundschule Darmstadt und der Freien Akademie Mannheim trat Hasso Gehrmann 1957 als Formgestalter bei der AEG in Frankfurt am Main und in Oldenburg seinen Dienst an. Kunst sollte sich nach Gehrmanns Auffassung über das Tafelbild hinaus in den gesamten Lebens- und Wohnbereich erstrecken und dabei für alle Menschen leistbar sein. So tauschte er 1957 die Staffelei gegen das Reissbrett, um seriell produzierbare Haushaltsgeräte und Wohnelemente zu entwerfen.
1961 (bis 1981) war er Chefdesigner bei Elektra Bregenz, BBC und Blomberg. 1982 gründete Hasso Gehrmann die Gehrmann Design GmbH, um seine zahlreichen Erfindungen und Patente weiterbetreiben zu können.
Designen, so die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen, bedeutet „markieren“, „planen“, „zeichnen“ und „beschreiben“. Besser kann man die Entwicklung von Hasso Gehrmann nicht bezeichnen. Am Anfang stand die Linie, dann kam die Zeichnung, gefolgt von der Konstruktionszeichnung und am Ende das fertige Produkt. Es war der Wandel von der Zweidimensionalität in den Raum.
In der Designwelt kursiert der Spruch, dass jemand, der eine passable Küche bauen kann, alles kann. Hasso Gehrmann hat die Küche als Raum, als Objekt gesehen. Die ETV – Elektra Technovision (Gehrmann Küche), eine von 1965 bis 1973 entwickelte vollautomatische Küche, ist ein Prototyp, der in Bregenz in Form von Entwurfszeichnungen und Plänen aus der Sammlung des Museums gezeigt wird. Sie war nicht nur Gebrauchsgegenstand, Designikone und Objekt im weiteren Sinne. Sie war vor allem eines – ihrer Zeit weit voraus. So kam es auch nie zu einer Produktion, vielmehr bestehen bis heute nur Modelle und der Prototyp, der im Deutschen Museum München aufbewahrt wird.
Haushalt und Wohnen befanden sich Ende der siebziger Jahre im Wandel. Der Sprung vom Dienstbotendenken zum Servicedesign war zu bewältigen. Die Technovisionen hielten Einzug in den Alltag.
Als Industrial Designer entwickelte Hasso Gehrmann für die Elektra Bregenz ein flexibles Wohnkonzept, etwa ein frei im Raum stehendes Bad, das man zur Loungeecke umgestalten konnte.
1972 schrieb er: „Wohnung – das ist innerhalb eines Zellenhohlraums veranstaltete und produzierte Phantastik nützlicher und genützter Effekte, Dinge, Farben und Formen.“ Mit diesen Subsystemen war nur noch ein Drittel des veranschlagten Raumvolumens erforderlich. Es blieb eine Utopie und war schlicht 30 Jahre zu früh präsentiert worden.
Der Mensch steht auch in Gehrmanns theoretischem Werk im Zentrum: In seiner ab 1975 entwickelten „Subjektiven Geometrie“ bildet jedes Subjekt den Seinsmittelpunkt. Dabei sind Raum und Zeit nicht vorgegeben, sondern sie können „als Medien des Auseinandersetzens und Vereinens auf- und abgerufen werden“.
Als Gegenmodell zum funktionalistischen Industrial Design verwandelte Hasso Gehrmann sein Bregenzer Büro in einen „metaphysischen“ Raum. Illusionistische Wandmalerei traf her auf Antiquitäten und sein Raum-Zeit-Modul.
Das Goldschmieden hat Gehrmann von seiner Frau Signe gelernt und zur Kleinskulptur weiterentwickelt. Übernommen hat er von ihr das Gestalten von Gesichtern, die auch zu seinen malerischen Hauptthemen zählten. Seiner Theorie der Multiperspektivität gemäß werden sie meist „vielgesichtig“ – und letztlich wieder abstrakt, wie in seinen „Y-Bildern“ (ab ca. 1990), denen eine erweiterte Raum-Perspektive zugrunde liegt.
Nach dem Rückzug als Designer bei Elektra Bregenz publizierte er „Die Theorie der Evolution“ (1986) und gemeinsam mit seinem Sohn Lucas Gehrmann ein Manifest zur Metakunst (1993). Rückblickend flossen seine philosophischen Überlegungen oft in seine künstlerische Praxis ein, was zu einem wechselseitigen Dialog zwischen seiner Kunst und den zugrundeliegenden Konzepten führte. Gehrmann betrachtete Kunst und Design nicht nur als ästhetische Disziplinen, sondern auch als Werkzeuge zur Reflexion und zur kritischen Auseinandersetzung mit der Welt. Hasso Gehrmann verstarb 2008 in Bregenz.
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Mehr über das umfangreiche Wirken von Hasso Gehrmann ist im Katalog Hasso Gehrmann. Vom Tafelbild zur Metakunst, herausgegeben von Lucas Gehrmann, Michael Kasper, Ute Pfanner und dem Vorarlberg Museum, nachzulesen. Erschienen im Februar 2025 in Verlag für moderne Kunst Wien, ISBN 978-3-99153-166-1.
Anlässlich des Neubaus des Vorarlberger Landhauses wurde im Jahr 1982 erstmalig ein Werk von Hasso Gehrmann für das Land Vorarlberg angekauft, ein abstraktes Bild mit einem archaisch anmutenden Geflecht von Zeichen und Symbolen, die „Komposition 3/51“, welche bis heute dort hängt.
22.02 - 17.08.2025
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