Werner Reiterer - The Mind Hacker: Hinter dem Ereignishorizont
In unseren Breiten waren Kirchen und Kathedralen bis zur Aufklärung ein bedeutendes Element der Identitätsbildung. Dort wurde den Menschen der Unterschied zwischen „denen da oben“ und dem eigenen, nicht selten recht miserablen Leben hier unten und warum das so sein müsse erklärt. Unterstützt wurde diese Erzählung meist mittels Kunstwerken, mit der die Geschichten visuell beeindruckend aufbereitet wurden. Zusätzlich zur entsprechenden Bebilderung, bedurfte es aber noch einer zusätzlichen Verknüpfung, die stärker in der realen Welt verankert war. Dieses Bindeglied lieferten die Heiligendarstellungen. Anders als die Engel waren (und sind) diese historisch real existierende Personen, die idealtypisch die Tugenden der Religion verkörperten und durch ihren Tod eine Verbindung her zwischen der realen und der geistigen, religiösen Sphäre herstellen.
18 Skulpturen von Heiligen und weiteren biblischen Gestalten, hängen im Schlossmuseum Linz von der Decke des Ausstellungsraums. Ihre Fußsohlen befinden sich einheitlich auf der Höhe von 171 Zentimetern, der Augenhöhe des Künstlers Werner Reiterer. Sie schweben damit an der Grenze der beiden Welten.
Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Skulpturen, wird einem bald gewahr, dass die Gesichtszüge der Figuren sich unnatürlich ähneln. Es ist das eigene Gesicht, das Werner Reiterer den Skulpturen in einem aufwendigen Restaurationsprozess angepasst hat. Gleichzeitig werden einige der Insignien, mit denen die einzelnen Heiligen dargestellt werden, in die Jetztzeit transferiert, aus Buch wird Laptop, aus Fibel wird Smartphone. Ein Akt der Blasphemie? Genauso wie die Gleichsetzung des Künstlers mit allen Heiligenfiguren und ihren Geschichten als Selbstüberhöhung? Eher ein Akt der kulturellen Aneignung – die Heiligen und die zugehörigen Erzählungen wurden von Werner Reiterer sozusagen gehackt und er übernimmt damit ihre Identität.
Dieser Identitätswechsel funktioniert allerdings nur, weil das früher in der katholischen Kirche weit verbreitete Wissen um die Geschichte und Bedeutung der Figuren immer mehr verloren geht. Viel wichtiger als die Physiognomie der Heiligen sind die Attribute, mit denen sie dargestellt werden. Mitra, Krone, Buch, Früchte oder auch Mehlsieb stehen für ihr persönliches Schicksal, etwa als Märtyrer, oder ihre Rolle als Patron für einzelne Berufsgruppen. Erst mit der Aufklärung und dem Erstarken des Bürgertums rückt die individuelle Darstellung der Persönlichkeit und damit auch das Aussehen in den Mittelpunkt. Selbstbetimmte Bürgerinnen und Bürger wollen sich in den Artefakten wiederfinden. Die damals gegründeten ersten Kunstmuseen boten den Besucher:innen einen Raum zur Selbstreflexion und übernahmen damit von den Kirchen die Rolle als Institution und Ort der Identitätsfindung. „Wir gehen nicht in Museen, um Kunstwerke zu sehen, wir gehen in Museen um uns selbst zu sehen!“, wie es im Begleitheft zur Ausstellung heißt.
Dieser Form der Selbsterkenntnis bietet Werner Reiterer in einem eigens in die Ausstellung eingebauten Raum eine Fülle von weiteren Anregungen. Dicht neben und übereinander gehängt sind 80 Bleistiftzeichnungen aus der Serie Die gezeichneten Ausstellungen zu sehen, an der der Künstler seit 1996 kontinuierlich arbeitet. Unterschiedlichste Fragestellungen zu Politik, Philosophie Kunstgeschichte u.s.w. werden von Werner Reiterer in den jeweils 70x50 cm messenden Arbeiten mit dem für ihn typischen Witz und einer gehörigen Portion Ironie illustriert und bearbeitet.
Es sind Modelle der Welterklärung, die Werner Reiterer in seiner Ausstellung anbietet. Religionen bieten Handlungsanleitungen im Umgang mit uns und der Welt. Sie versuchen, dem menschlichen Dasein einen tieferen bzw. höheren Sinn zu geben.
Werner Reiterer setzt die Kunst an die Stelle der Religion. Doch geht es ihm nicht um die rituelle Verehrung von Artefakten, wie sie oft genug in den Museen der Welt zelebriert wird, sondern vielmehr um die Fähigkeit von Künstler:innen, ein alternatives Modell der Sinnstiftung anzubieten, das nicht von diffusen höheren Mächten getragen wird, sondern von dem kreativen Potential der Menschen im hier und jetzt.

26.02 - 22.06.2025
Schlossmuseum Linz
4020 Linz, Schlossberg 1
Tel: +43-732 77 20-52502
Email: info@ooelkg.at
http://www.ooekultur.at
Öffnungszeiten: Di-So, Fei 10-18 h