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Dürer und Phettberg

Kunst und Kult der Selbstdarstellung

Hans Beltings Werk »Bild und Kult« von 1990 gilt als Meilenstein der westlichen Kunstgeschichtsschreibung. Der Münchner Kunsthistoriker untersucht darin die Funktion von Bildern unter religiösen und kultischen Wahrnehmungsbedingungen – und geht damit weit über eine bloß kunsthistorische Analyse hinaus. Beltings Ansatz wurde zum Klassiker, weil er zwei entscheidende Perspektiven verknüpfte: Zum einen richtete er den Blick auf die Kunstproduktion vor der Entstehung des selbstbestimmten Kunstwerks, auf Epochen also, in denen Bilder primär Medien und nicht bloß Darstellungen waren. Zum anderen spürte er einem Bildverständnis nach, das sich weniger an ästhetischen Kategorien, als an kultischer Zweckbestimmung orientierte. Byzantinische Ikonen und mittelalterliche Heiligenbilder sind für Belting Medien der Vergegenwärtigung des Göttlichen. Sie sollen weder ästhetische Betrachtung noch intellektuelle Reflexion auslösen, sondern Präsenz erzeugen – eine „wirkende Aura“, die die Grenzen zwischen Diesseits und Transzendenz auflöst. Bilder jener Zeit waren keine Dinge der distanzierten Bewunderung, sondern privilegierte Wesen, durchlässig und von sich aus aktiv, im ständigen Austausch mit dem Sakralen und den höchsten Instanzen. Diese mediale Funktion wurde von der Renaissance durch profane Zwecke mehr und mehr verdrängt. Bilder erhielten Rahmen, der Handel mit Kunst begann zu florieren und ein Verständnis vom Bild als Träger einer ontologischen Trennung setzte sich durch, das klar zwischen Illusion und Realität unterschied. Was Beltings Buch bis heute bemerkenswert macht, ist die Brücke, die er zur Gegenwart schlug. Denn »Bild und Kult« enthält einen zeitdiagnostischen Subtext. In seinen Beobachtungen rief der Kunsthistoriker den Medienwandel der 1990er Jahre auf. In den kommerziellen Bildpraktiken dieser Zeit, etwa in Werbung, Nachrichten oder der Unterhaltungsindustrie, erscheinen Bilder ebenfalls nicht allein als Repräsentationen. Sie vermitteln nicht nur Botschaften, sondern erzeugen Präsenz – eine Präsenz, die Emotionen und intuitives Handeln aktiviert. Damit, so Belting, tragen diese Bilder Spuren von vormoderner Bildnutzung, auch wenn sie in völlig andere kulturelle und technologische Kontexte eingebettet sind.

Doch was geschieht, wenn sich die von Belting untersuchten Bildfunktionen überschneiden? Wenn Bilder zugleich kultisch aufgeladen sind und als Darstellung von etwas dienen? Wenn Präsenz und Abbild, Fake und Aura, nicht mehr klar voneinander zu trennen sind? Diese Fragen, die Beltings Analyse eröffnete, scheinen heute umso aktueller. Tatsächlich treten sie in Zeiten des medialen Wandels prägnanter zutage, heute unter den Bedingungen der KI, damals unter den Schwellenverhältnissen der anbrechenden digitalen Ära, allgemein während historischer Phasen, in denen alte Technologien abtreten und neue beginnen, Nutzung und Wahrnehmung zu prägen. Ein geeignetes Beispiel, an dem sich die Verschiebungen im Herbst eines Mediums belegen lassen, ist das Genre des Menschenbildes – darunter insbesondere die Selbstdarstellung außergewöhnlicher Persönlichkeiten, die an sich selbst erproben, wie Kult und Darstellung zusammenwirken können. Dazu müssen sich die Abgebildeten gewissermaßen zu Heiligen transformieren, um das Religiöse greifbar zu machen, und zugleich das Profane verkörpern, das die kultische Verehrung ironisiert.

Von Dürer zu Phettberg: Kult als Selbstdarstellung

Mit seinem berühmten Selbstbildnis von 1500, das ihn en face mit Christus-ähnlicher Haartracht zeigt, wird Albrecht Dürer zur Schlüsselfigur des neuzeitlichen Bildes. Dementsprechend markiert Dürer das Ende von Beltings Beobachtungszeitraum. Bilder aktivieren nicht länger numinose Gegenwart, sondern versprechen Glaubwürdigkeit und Individualität. Sie beruhen auf einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat, die das Bild als intellektuelles wie ästhetisches Medium verständlich werden lässt. Dürers Selbstinszenierung ist kühne Ideologie: Sie vereint die Darstellung künstlerischer Perfektion, sozialer Anerkennung und persönlicher Autorität. Der luxuriöse Pelz, die detailgenaue Wiedergabe der Gesichtszüge, der selbstbezügliche Fingerzeig – all das signalisiert einen neuen Anspruch auf das Künstlerbild: nicht mehr Handwerker, sondern intellektueller Schöpfer. Zugleich bleibt Dürer der religiösen Bildsprache und ihren thematischen Setzungen treu. Die Selbstprojektion als „Ebenbild Gottes“ ist zwar provokant, aber durch sein umfangreiches sakrales Werk vermutlich gerechtfertigt.

Knapp 500 Jahre später tritt Hermes Phettberg, ein österreichischer Talkmaster, Essayist und Bühnenakteur, als radikales Gegenstück zu Dürer in Erscheinung. Äußerlich dem Renaissance-Vorbild ähnlich – mit sorgfältig gewellter Haarpracht und filigranen Gesten – parodiert Phettberg sowohl den medial angestifteten Ichkult als auch die christliche Ikonografie, während er sich selbst als verletzliche, schamgebeugte Kunstfigur darbietet. Seine »Nette Leit Show« wird Mitte der 1990er in drei Staffeln im ORF ausgestrahlt. Wo Dürer Vitalität und Überlegenheit präsentiert, zeigt Phettberg Schwäche, abgründiges Begehren und Scheitern – eine Selbstpräsentation, die sowohl von radikaler Offenheit als auch von ironischer Brechung der kultischen Verehrung zeugt.

Gewinn und Verlust: Zwei Formen der Selbstinszenierung

Während Dürer den Aufstieg, die Perfektion und den Erfolg feiert, inszeniert sich Phettberg als tragischer Verlierer, der gesellschaftliche Normen ironisch durchbricht. Beide jedoch sind Grenzgänger, die die Möglichkeiten ihrer Medien ausloten. Dürer revolutioniert die Kunst durch die mediale Vervielfältigung seiner Werke – sein berühmtes Monogramm »AD« gilt als eines der ersten Logos. Phettberg dagegen experimentiert am Ende der klassischen Ära des Fernsehens mit einer neuen Form der Authentizität, die wenige Jahre später in den sozialen Medien ihre Entgrenzung finden sollte. Tatsächlich wird die Praxis des Influencing die Elemente beider Vorbilder endgültig auf die Spitze treiben: Persönliche Schwächen werden zur Ware, Rezepte der Selbstoptimierung und Strategien der Fehlervermeidung zum global verbreiteten Geschäftsmodell. Doch wo Dürer die Sakralität seiner Selbstinszenierung durch ein breites künstlerisches Werk relativiert, und Phettberg das Religiöse ironisch oder schamhaft einverleibt, setzen gegenwärtige Formen der Selbstdarstellung immer häufiger auf Banalität und rasche Rezeptur. Frei von Ironie erläutern sie das Ich als Selling-Position oder als Produkt, das unlimitiert feilgeboten werden kann.

Der Körper als Defizit

Dabei finden sich in der Praxis der Sozialen Medien Aspekte, die bereits bei Dürer und Phettberg anklingen, nämlich die Darstellung des Körpers und die Illustration seiner Defizite. In seinen Studien zur Proportion entwickelt Dürer ein Ideal des menschlichen Körpers. Dieses Ideal orientiert sich an der Natur und den Maßstäben der Antike. Der Körper erscheint proportional durchdacht und als Ausdruck eines höheren, mathematisch fundierten Ordnungsprinzips. Diese Vorstellung einer Harmonie von Körper und Geist manifestiert sich in seinen anatomischen Studien und besonders in den Stichwerken, die auch die Selbstbildnisse enthalten. Phettberg hingegen verkörpert das Gegenbild zu dieser Perfektion. Was bei Dürer harmonisch ist, wird bei Phettberg zur Inszenierung von Brüchen, Melancholie und Unvollkommenheit, und ein Beleg für den Körper als Andersheit und Phantasma. Gerade darin liegt die Kraft seines Ansatzes: Phettbergs schalkhafte Exposition des Unvollkommenen wäre heute – etwa dreißig Jahre danach – ein probates Gegenmittel gegen den Perfektionsdruck der sozialen Medien. Gerade in Zeiten, in denen die Körperbilder auf Instagram und anderen Kanälen durch Filter und Optimierung zunehmend gleichförmig und makellos werden, könnte das Beispiel Phettberg belegen, dass sich just im Unvollkommenen Würde und Witz, Tragikomik und Melancholie verbergen – ja sie sogar Anlass für ein Vertrauen auf eine höhere Ordnung sein können. Denn trotz oder vielleicht gerade wegen seiner bewussten Betonung von Schwäche und Abgründigkeit vertraut Phettberg, ähnlich wie Dürer, auf eine universelle Harmonie, die durch das Göttliche gestiftet ist und die durch die rein körperliche Erscheinung hindurch wirkmächtig bleibt.

Das Vertrauen in die Religion

Tatsächlich spielt die Religion im Leben der beiden eine entscheidende Rolle. Dürer, zur Hochzeit der Reformation aktiv, zeigt sich in seinem Selbstbildnis säkularisiert: Er nimmt das Ebenbild Gottes wörtlich, doch wird diese Selbstprojektion durch die Vielzahl sakraler Werke, die er im Laufe seines Lebens anfertigt, relativiert und in einen größeren Glaubenskontext eingebettet. Phettberg hingegen wählt keinen distanzierten, sondern einen scheuen Umgang mit dem Christlichen. Er, der durch sein Begehren und seine sexuelle Orientierung Entfremdete, sucht den schützenden Mantel der Kirche. Devotion ist ebenso religiös wie erotisch gemeint. Ohne Zweifel prägt ein theologisches Interesse Phettbergs Lebensgestaltung und Biografie. Früh wird er Pastoralassistent an der Erzdiözese Wien und später Beamter im Amt der niederösterreichischen Landesregierung. Von März 1992 und bis zu seinem Lebensende erscheint ohne Unterbrechung seine Kolumne »Predigtdienst« in der Wochenzeitung »Der Falter«, in der er die liturgischen Bibelstellen des Kirchenjahres mit ebenso schelmischen wie scharfsinnigen Kommentaren zum Alltag verknüpft. Während Dürer künstlerisch zwischen Glauben und Ichbezug je nach Genre und Absicht wechselt, verschneidet Phettberg die inkommensurablen Metiers, als wären sie nie getrennt. So können bei ihm Mäßigung und Masochismus verschmelzen, ebenso wie die Sehnsucht nach paradiesischer Transzendenz und ein Leben, das er selbst als das eines „Elenden“ bezeichnet.

Hermes Phettberg starb am 18. Dezember 2024, übrigens am selben Tag wie Didi Constantini, Fußballer und ehemals Trainer des österreichischen Fußball-Nationalteams, den er einmal zu seiner legendären »Nette Leit Show« im ORF zu Gast hatte.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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