
Precious Okoyomon - One Either Loves Oneself Or Knows Oneself: Plüschmonster im Schmetterlingskunsthaus
Die Raumtemperatur hochgefahren für ein Schmetterlingshabitat im natürlich gepflanzten Garten, ein Riesen-Kuschelbär zum Tagträumen, fliegende Erinnerungsfragmente und zum Einstieg Psychoanalyse in der Existential Detective Agency. In welchem Kunsthaus auf der Welt gibt es eigentlich noch so eine außergewöhnliche Möglichkeit, vier Etagen mit einer Idee exklusiv zu bespielen? Alles ist möglich im KUB, und das noch dazu in sagenhaften zweieinhalb Wochen, aber wohlgemerkt – für Abbau der vorhergehenden und Aufbau der aktuellen, höchst aufwändigen Ausstellung!
Auch wenn sie zum Zeitpunkt der Einladung die jüngste der je angefragten Künstlerpersönlichkeiten war, geht man mit der seit ihren Auftritten bei der Biennale in Venedig et alii hochgehandelten Precious Okoyomon kein Wagnis ein. Sie definiert sich als queere, genderfluide Person, hat nigerianische Wurzeln, ist in London geboren, lebt in Brooklyn, New York, schreibt Gedichte und Theaterstücke, spielt Harfe und ihr ständiger Begleiter ist ein Hündchen. Ihre Werke bewegen sich zwischen Kunst, Poesie und Performance. Am Anfang sei der Traum, Träume sind Erinnerung und Archiv, und irgendwann werden sie für Okoyomon zu Objekten, weil sie die Fragmente dieser Träume real fühlen, sehen möchte. Träume seien die Gefährten unseres frühen Selbst, sind Angstfänger und Komplizen. „Alles startet in einem Traum, wenn ich versuche in meine Erinnerung zurückzugehen, schreibe, zeichne ich, daraus kann ein Gedicht werden, ein Gebet. Poesie ist der Weg, wie ich die Welt sehen und verstehen kann“.
Im Erdgeschoss des KUB stehen zwei weiße Boxen, Therapiekabinette, assoziierbar mit der psychoanalytischen Praxis Carl Gustav Jungs. Vermutlich ist die aufgelegte Lektüre zu Liebe, Kochen, Philosophie und arabischer Poesie anregender, als die kryptischen Fragen, die zur Beantwortung in der einen Kammer aufliegen: an diejenigen, die weit weg waren; die etwas zu Papier bringen müssen oder an diejenigen die wieder Kunst machen, schreiben oder tanzen wollen; nachdem sie mit Aquarellfarben ein Tier gemalt haben. Im anderen, mit Fabelwesen tapezierten Zimmer gibt es immerhin Ansprache und Hilfestellung durch weißgekittelte Therapeutinnen. „Der Zugang zum Verständnis der Welt liegt im kollektiven Unterbewussten“, sagt Okoyomon, „das, was wir in uns finden, verbindet uns mit anderen. Wenn wir unsere Ängste sehen, sehen wir auch die Verletzlichkeit des Gegenübers“.
Über die ungewohnt dunkle und spürbar engere Treppe gelangt man in den ersten Stock. An Galgenstricken hängen im großen Raum verteilt Plüschtiere von der Decke. Die genauere Betrachtung und Innehalten lohnt sich: Aus gebrauchten Kuscheltieren zusammengesetzt, mit Engelsflügeln von Vogelfedern besetzt, wird die Absurdität und Gewalt sichtbar – die Welt ist in Schieflage geraten und die Unschuld der Kindheit verloren. „In der Ausstellung geht es um Freude, Trauma und Verdrängung. Als Kind war ich geradezu von meinen Kuscheltieren abhängig. Ich nahm sie überallhin mit. Sie haben mich vor der Realität meiner Kindheit beschützt. Ich habe darüber nachgedacht, wie Erinnerungen gespeichert, festgehalten, abgerufen und erschaffen werden. Stofftiere sind Objekte, die kollektive und persönliche Erinnerungen speichern.“
Doch mit Flügeln kann man fliegen. Und das macht Precious Okoyomon im obersten Stockwerk. Abgetrennt mit dem gleichen Schmetterlingsnetz des feuchtwarmen Habitats für Pflanzen und Lebewesen, wird im hinteren Teil des Raums wandfüllend ein Film gezeigt: Okoyomon steuert ein Flugzeug – mit 16 Jahren hat sie den Pilotenschein gemacht – über die Vorstädte ihres Heimatstaats Ohio und deklariert eigene Gedichte. Im transparenten Schmetterlingshaus hat sie einen sehr persönlichen lebenden Garten gepflanzt. Neben verpuppten Raupen im Prozess der Metamorphose schwirren bereits geschlüpfte Schmetterlinge durch die Luft, es sind durchwegs schwarze, ihre Lebenszeit ist mit 16 Tagen begrenzt. „Die Natur bietet uns die Möglichkeit einer Parallelwelt, das macht glücklich, die Natur kann uns perfekt spiegeln, und wenn wir die Augen öffnen, dann sehen wir das auch.“
Mitunter liegt noch der riesige Teddybär im zweiten Obergeschoss vergessen und verlassen am Rand des rosa Teppichfelds. Er kann Erinnerung und Apell sein, hat ein tiefgründiges Gesicht und zeigt Krallen. Vordergründig kann man sich auf den weichen Bauch des Plüschmonsters fallen lassen und zu Klängen der Soundkünstlerin Takiaya Reed in eigenen Tagträumen versinken. „Träume sind immer frei und radikal, sie halten der Gewalt in unserer Welt etwas entgegen, der unerträglichen Gewalt des Alltags, die oft in Form von Kapitalismus, Rassismus spürbar wird. Davon befreien kann ich mich nur, wenn ich träume, gemeinsam mit anderen, ohne Angst.“
01.02 - 25.05.2025
Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr