Gesinnungskuratieren? Die Skandalisierung rund um eine Nan Goldin-Ausstellung wirft Fragen auf
Nan Goldins Einzelausstellung „This will not end well“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin erregt in Deutschland nicht nur die Gemüter in der Medienlandschaft: Soll da etwa eine Künstlerin ausgestellt werden, die sich offen auf die Seite der Palästinenser:innen stellt, also antisemitisch ist? Da diese Skandalisierung im Kontext der gerade im Deutschen Bundestag verabschiedeten, höchst umstrittenen „Antisemitsmus-Resolution“ zu erwarten war, hat die Neue Nationalgalerie flugs ein Symposium initiiert, das die angespannte Lage entschärfen soll. Am Eröffnungswochenende der Ausstellung wird also unter dem Titel „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ diskutiert über die Polarisierung des Kulturbetriebes angesichts des Nahostkonfliktes. Ein wichtiges Anliegen derzeit, über das sicherlich so offen wie kontrovers geredet werden muss, aber im Rahmen der Ausstellung „This will not end well“ fragwürdig ist. So behandelt das Symposium „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ erklärtermaßen nicht Nan Goldins weltweit gefeierte Kunst. Dieses würde auch keinerlei Sinn ergeben, den bekanntlich thematisiert diese bisher noch nie als antisemitisch bezeichnete Kunst weder das Thema „Gazakrieg“ noch die Nahostproblematik überhaupt. Und genau an diesem Punkt offenbart sich die Problematik dieser Situation, die leider typisch ist nicht nur für die Kulturlandschaft in Deutschland: Langsam aber sicher macht sich im (offiziellen) Kunstbetrieb eine Form des Denkens breit, die nicht mehr nach der Qualität der auszustellenden Kunst fragt, sondern nach der politischen Gesinnung von Künstler:innen. Und dann bleibt von der Freiheit der Kunst und dessen Diskurs schnell nicht mehr übrig als ein nicht ernstzunehmendes Lippenbekenntnis.
--
Abbildung: Nan Goldin, Self-portrait with eyes turned inward, Boston (Selbstportrait mit nach Innen gedrehten Augen, Boston), 1989, Photographie, aus der Serie “Sisters, Saints and Sybils” © Nan Goldin. Courtesy the artist