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Museum als Promenade - Warschaus neues Wahrzeichen?

Die Warschauer Bürger:innen und die vielen Gäste aus dem In- und Ausland freuen sich über die Eröffnung des Museums für Moderne Kunst - MSN -, das nach zwei Jahrzehnten an mühsamen Bestrebungen und Arbeit aus dem Boden gestampft wurde. Die Eröffnung wird bei freiem Eintritt bis zum 10. November als verdienter Erfolg gefeiert. Dies umso mehr, als es in der Zwischenzeit notwendig war, die gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Schweizer Architekten Christian Kerez Revue passieren zu lassen[1] und zu erkennen, dass sich der Stararchitekt Frank Gehry[2] nicht in das Panorama der polnischen Hauptstadt integrieren lässt.

Das heutige Gebäude aus hyperweißem Beton in Form eines horizontalen Quaders steht auf einem historischen Grundstück im Herzen der Stadt, in der Nähe des aus der Sowjetzeit stammenden Kultur- und Wissenschaftspalastes. Der weiße Monolith hat vier Stockwerke, davon zwei oberirdische. Er strahlt einen radikalen Minimalismus aus und selbst das schärfste Auge kann kaum den Namen oder das Logo des Museums erkennen. Vom davor liegenden Plac Defilad aus ist der Eingang kaum sichtbar.

Das Museumsgebäude wird von seiner Direktorin Joanna Mytkowska, die seit siebzehn Jahren im Amt ist, als neues Wahrzeichen der Hauptstadt bezeichnet. Nun stellt sich die Frage: Ist der "weiße Container" oder "Klotz", wie er in der lokalen Presse genannt wird, charakteristisch genug, um eine Chance zu haben, sich zu dieser gewünschten symbolischen Größe zu entwickeln? Von der Marszalkowska-Straße aus fällt das Museumsgebäude durch seine schlichte, elegante Fassade auf, die einem leuchtenden Schaufenster gleicht und mit den 1970er-Jahre-„Zentrumshäusern“, dem Symbol sozialistischen Luxuskonsums, harmonieren soll.

Die andere Seite des Museums öffnet sich zu dem Kultur- und Wissenschaftspalast – dem Symbol der stalinistischen Ära (bis 1956), der bis heute als Sitz von Theatern, Studios, Galerien, Konzertsälen und ähnlichen Kultureinrichtungen fungiert. Allerdings scheint sich das Museum im Moment von diesen Räumen zu distanzieren. Eine objektive Beurteilung der Situation ist derzeit jedoch schwierig, da die Umgebung eine weitere Baustelle bzw. das Areal archäologischer Ausgrabungen ist. Im Inneren des Gebäudes werden wir, sobald wir die Schwelle überschreiten, von den scharfen Kanten der dynamisch geformten Geometrie der überdimensionalen Freitreppe überwältigt, die uns nahezu in den Himmel aufsteigen lässt. Tatsächlich ist es nur die zweite Etage. An dieser Stelle kann mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass der Architekt ein Amerikaner ist. Dabei kommen mir Bilder amerikanischer Museen, wie das Guggenheim Museum oder das High Art Museum in Atlanta, in den Sinn.

Alle um die bereits erwähnte zentrale Freitreppe gruppierten Museumsräume vermitteln die Atmosphäre einer belebten Promenade mit herrlichem Blick durch die Panoramafenster auf die Stadt und erzeugen damit eine neue Sicht. Der Wunsch dieser offenen Raumstruktur ist es, einen sozialen Ort zu schaffen, an dem sich alle oder viele treffen und über vieles diskutieren können. Die Ausstellungsfläche von 4.500 m2 ist zur Eröffnung nur teilweise mit der Kunst bespielt. Was die Intensität der Ausdrucksmittel und die Wirkung auf die Vorstellungskraft betrifft, so hatten zwei räumliche Installationen ihre Aufmerksamkeit auf mich gezogen: Die auffallende Monumentalität und Farbigkeit der hängenden Textilarbeit aus Wolle und Sisal aus den 1970er Jahren von Magdalena Abakanowicz und die aussagekräftige, kraftvolle Verwandlung der Hethiter-Rüstung einer Krabbe in Zelt oder umgekehrt (Ghosting, 2019) von der Protagonistin des Afrofuturismus Sandra Mujinga. Sie hatte im Hamburger Bahnhof vor kurzem ihren ersten Großauftritt und kreiert zumeist geisterhafte Körper, welche ebenfalls auf die koloniale Vergangenheit verweisen. Die malerischen Kompositionen und Figuren der ukrainischen Malerin Kateryna Lysovenko auf den Wänden strahlen hingegen Gefühle der Hilflosigkeit, Zerbrechlichkeit und des Leids aus. Alle derzeit ausgestellten Werke stammen von Frauen (weitere Werke aus der Sammlung des Museums werden erst ab dem 21. Februar 2025 folgen), denn auch im Land an der Weichsel haben es Künstlerinnen und Künstler anderen Genders nicht einfach, sich derzeit durchzusetzen. Mit einer kleinen Ausnahme: 10 Minuten vor Beginn der Pressekonferenz zur Eröffnung hat der polnische Künstler Kuba Bakowski mit seiner Klanginstallation vor dem Gebäude, unter den Arkaden die Öffnung des neuen Museums quasi eigeläutet.

Aus Polen zeigten Monika Sosnowska, Agnieszka Polska und die Malerin Karolina Jablonska ihre Raumarbeiten. Was mir bei dieser Präsentation kosmopolitischer Kunst im großen Stil jedoch fehlte, war zumindest eine künstlerische Position, deren Kunst weniger vom Westen und seinem Kunstbetrieb bestimmt ist - vielleicht ein Newcomer, den es zu entdecken gilt und eine oder einen Vertreter aus der Generation der in den 60er und 70er Jahre geborenen, die zu der Entwicklung der zeitgenössischen Kunst in Polen einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Potenzial gäbe es genug.

In den noch weitgehend leeren Ausstellungshallen ist die Verteilung des Tageslichts präzise organisiert, indem die Oberlichter an die Decken angepasst wurden. Das ist äußerst angenehm. Das Licht wird durch Stoffschichten gestreut, deren Lichtdurchlässigkeit je nach den Präsentationanforderungen reguliert werden kann.
Der Großzügigkeit der Treppen und einzelner Räume steht die strenge Schlichtheit der Sanitärräume entgegen. Besonders hervorzuheben ist außerdem das Auditorium im Erdgeschoss, das zum Teil in Holz ausgeführt wurde und durch einen Schacht, der durch alle Stockwerke führt, den Blick in den Himmel freigibt. Der zweite Stock beherbergt auch den größten Ausstellungraum, der 600m2 zählt und sich für Multimediale Kunst eignet – derzeit ist dort die Skulptur von Monika Sosnowska zu sehen.

Ziel der von ihm entworfenen Architektur ist es, so der Architekt Thomas Phifer, ihre Rolle als „Frame“ für die Kunst zu minimieren. Die Skulptur „Freundschaft“ von Alina Szapocznikow aus dem Jahr 1954, die zwei Männer zeigt, die sich freundschaftlich umarmen und eine entwirrte Fahne in den Händen halten, passt perfekt in diesen Kontext. Aufgrund von Schäden haben die Figuren derzeit keine Hände mehr. Szapocznikows Skulptur, die einst den Kulturpalast schmückte, blickt heute von weitem auf ihn herab. Der stalinistische Palast ist zur Antike Warschaus geworden. Wie das griechische Pantheon thront er noch immer über der Stadt.

Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie
⤇ artmuseum.pl

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[1] Christian Kerez hatte 2007 den Architekturwettbewerb für das neue Museum gewonnen, nach vielen gegenseitigen Anschuldigungen wurde der Vertrag schließlich 2012 aufgelöst.

[2] Frank Gehry hatte ursprünglich den Wunsch geäußert, das neue Museum gestalten zu wollen, aber letztendlich am Architekturwettbewerb 2007 nicht teilgenommen.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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