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Vul|ne|ra|ble: Jubiläum ohne Jubel

Der Straßenstrich und ein Porno-Palast gleich um die Ecke, die Obdachlosen schlafen nebenan auf dem Gehweg – die Galerie KOW ist umgezogen in den „schmuddeligen“, alles andere als „feinen“ Teil der Berliner Kurfürstenstraße. „Eine starke konzeptuelle Geste“, stellt ein Vernissagebesucher fest, „eine ökonomische Notwendigkeit“ kontert prompt ein anderer. Recht haben wohl beide, denn die Zeiten sind bekanntlich schwieriger geworden, in politischer wie in ökonomischer Hinsicht. Und beides geht insbesondere eine Galerie an, die zu den ganz wenigen in Berlin gehört, in deren Programm explizit politische Kunst den Ton angibt. Die Notwendigkeit einer solchen politischen  und daher schwerer zu verkaufenden Kunst unterstreicht dann auch die erste Ausstellung im neuen Galerieraum, „Vul|ne|ra|ble“. Gezeigt werden Arbeiten von 28 Künstlern und Künstlerinnen, die größtenteils von der Galerie KOW vertreten werden. Deren Arbeiten stellen dann auf unterschiedliche Weise die Verletzbarkeit von Welt, von Mensch und Gesellschaft engagiert in ihren künstlerischen Fokus.

Begrüßt wird man von der im Fenster der Galerie installierten, also bereits von Außen sichtbaren Arbeit „Signal Flags“, 2024, des Kollektivs Chto Delat. Die Arbeit setzt sich aus 16 Flaggen zusammen, die an Signalflaggen aus der Seefahrt erinnern. Die dazugehörenden Legenden aber machen deutlich, dass es sich hier vielmehr um Flaggen handelt, die politisch Prekäres benennen: „I am against Occupation I am against Hamas Cancel me out Radars“, etwa ist da eine der Flaggen benannt. Im Inneren des Raumes dann erwartet den Besucher eine brisante Tour de Force durch die (geo)politische Weltlage. So zeigt zum Beispiel Hiwa K sein Video „Moon Calendar“ 2007, in dessen Mittelpunkt ein berüchtigtes Gefängnis steht, in dem Saddam Hussein und sein Regime politische Gefangene inhaftierte. Von Candice Breitz sind 9 Fotografien aus ihrer Arbeitsreihe „Whiteface“, 2022, zu sehen. Die Künstlerin rezitiert da, mit weiß-blonder Perücke und verstörenden Kontaktlinsen kostümiert, vor allem in den USA gängige rassistische Rhetoriken. Santiago Sierra dann hat in seiner Arbeit „National Coat of Arms of Spain Stamped with Blood“, 2022, das spanische Wappen mit Blut auf Papier gedruckt, mit gespendeten Blut aus allen Ländern des ehemals mächtigen Kolonialreiches. Imperialismus und das Konzept des Nationalstaates werden so vom Künstler kritisch reflektiert. Der dreifache Documenta-Teilnehmer Peter Friedl schließlich betont Fragilität und Verletzbarkeit nicht durch eine politische Inhaltlichkeit, sondern durch die offene, kaum „verstehbare“ Lesbarkeit seiner Arbeit: Die Skulptur „.o.T.“, 1993, etwa zeigt ein scheues Reh, im extrem kleinen Maßstab modelliert und rosafarbend verfremdet liegt es, so viel- wie nichtssagend, freigestellt von jedwedem (semantischen) Kontext auf einem weißen Sockel.    

Ein nachdenklicher Glückwunsch also zu Jubiläum, neuem Raum und gelungener Ausstellung!

Mehr Texte von Raimar Stange

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Vul|ne|ra|ble
07.09 - 16.11.2024

KOW
10785 Berlin, Kurfürstenstraße 145 Eigang Frobenstraße
Tel: +49 30 311 66 770
Email: gallery@kow-berlin.com
http://kow-berlin.com
Öffnungszeiten: Mi - So 12-18h


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