Die Welle reiten...
Eine Lösung für das „Wenden des Blattes“, so der diesjährige Titel erhält man nur ansatzweise. Die Ausstellungen in der Postcity, im Lentos, dem Ars Electronica-Gebäude und mehreren weiteren Nebenschauplätzen zeigen aber auf, daß es Hoffnung gibt – so der Übertitel – und in welche Richtung Entwicklungen gehen.
Im Ars Electronica Center gibt es keinen „Planet B“. Wie wir mit unserem Planeten aber einen schonenden und nachhaltig sinnvollen Weg einschlagen können, wird uns sehr wohl verraten. Projekte und die Menschen dahinter finden in turbulenten Zeiten unter Einbeziehung von Kunst, Technologie und Wissenschaft hoffnungsvolle Wege.
Das an der walisischen Universität beheimatete Brain Research Centre CUBRI hat in Zusammenarbeit mit Siemens Healthineers fotorealistische, dreidimensionale Abbildungen des menschlichen Körpers als Basis von Bilddaten aus Computer- und Magnetresonanztopografen dargestellt. Damit werden Nervenfasern im Gehirn sowie Ursachen und der Verlauf von Multipler Sklerose erforscht.
Um künstliche Intelligenz zu veranschaulichen, hat das Ars Electronica Zentrum ein Handpuppenspiel aufgebaut. Die Verwendung von Deep Learning hat enorme Fortschritte gemacht. Die sogenannte GAN-Technologie (Generative Adversarial Networks), eine Verbindung aus zwei neuronalen Netzwerken, kann für eine Reihe von Aufgaben – unter anderem zur Erstellung von fotorealistischen Bildern oder Visualisierungen – verwendet werden.
Ein Laserscan der französischen start-ups Iconem und Histovery waren große Hilfe beim Wiederaufbau der Notre Dame de Paris, von der es bis zum verherrenden Brand 2019 keine vollständige Aufnahme und Dokumentation des Gesamtkomplexes gab.
Die Gigapixelfotografie von Haltadefinizione, wie schon der Name verrät sich mit „hoch Auflöslichem“ beschäftigt, macht vieles sichtbar, was mit dem Freien Auge nicht wahrnehmbar ist. Das erste Großprojekt war 2008 das Letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci. In einem technischen Prozess wurden 24 Stunden lang Fotografien produziert, die im Anschluss durch einen Rechner addiert wurden und so pixelfreies Vergrößern ermöglicht haben. Dabei wurde Staffagearchitektur (am Originalfresko nur zwei Zentimenter groß) hinter dem tafelnden Jesus sichtbar. Auch, dass Judas unter seiner rechten Hand einen weißen Fleck aufweist, kann seit der Aufnahme als geschichtlich erwähntes Salzhäufchen nachgewiesen werden. Eigentlich, so die Verantwortlichen, kann jegliches Teil einer Aufnahme fast unendlich vergrößert werden. Für Interessierte steht die image bank zur Verfügung. Zu den Interessenten und Kunden zählen nicht nur Kunstinteressierte, am Kunstmarkt Tätige sondern auch internationale Graphikunternehmen und Hotelgruppen. Die Kunstwerke finden ihre Wege durch Vervielfältigungen.
Der Nike-Preisträger (deren Präsentationen im Lentos gezeigt werden) Timothy Thomasson aus Kanada hat Panoramabilder des 19. Jhds. mit historischer, kultureller und wahrnehmungsbezogener Bedeutung als Grundlage für seine Computeranimation I´m Feeling Lucky genommen. Die Beziehungen zu Bild, Geografie, virtuellem Raum, historischer Medientechnologie und Massendatenerfassungssystemen in Echtzeit wurden erforscht in Form einer endlosen virtuellen 3d-Landschaft, die sowohl historisch als auch geografisch mehrdeutig ist und in Echtzeit mittels Game-Engine-Technologe generiert wird. Die dargestellte, virtuelle Landschaft ist mit unzähligen Figuren bevölkert, die aus Google Street View stammen und durch ein neuronales Netzwerk verarbeitet wurden.
Das größte und umfangreichste Ausstellungshaus ist die Postcity. Auf vier Ebenen dreht es sich um die Künstliche Intelligenz und auch um deren historischen Entwicklung. Vladan Joler und Kate Crawford von Calculation Empires beleuchten die Zusammenhänge zwischen Technologien und Herrschaft von 1500 bis heute.
Swimming Lesson der israelischen Teilnehmerin Vardit Goldner ist eine Videoinstallation und Mockumentary, in der jungen Beduin:innen in einem leeren Pool (also ohne Wasser) das Schwimmen beigebracht wird. Die Arbeit soll darauf aufmerksam machen, dass es in Israel keine Schwimmbäder gibt, die für Beduin:innen zugänglich sind. Die fehlende Möglichkeit, schwimmen zu lernen, führt häufig dazu, dass diese im Meer ertrinken. Mehr als 200.000 arabische Beduin:innen leben gegenwärtig in der israelischen Negev-Region mit Zugang zu einem einzigen Schwimmbad, das 2017 in Rahat eröffnet wurde. Die Arbeit thematisiert den fehlenden Zugang zu Schwimmbädern aufgrund von Diskriminierung aber auch die mögliche Wasserknappheit in naher Zukunft als Folge der globalen Erwärmung und Dürre.
Die drei Moldauer Capatina Oxana, Villi Mahnenco und Bogdan Postolachi zeigen mit ihrer audiovisuellen Arbeit ihre Angst vor Wasserknappheit in der Republik Moldau auf. Ein Beispiel der Flüsse ist auch die Donau, die durch Landwirtschaft, Industrie und die Urbanisierung verschmutzt ist. Nur mehr die Hälfte des Flussverlaufes kann als „natürlich“ bezeichnet werden.
Vom Wasser in die Lüfte sind die fliegenden Fische von bit.studio aus Thailand entflohen. Ein bisschen an die Ballons von Andy Warhol erinnernd möchte Flock Of Neugierde wecken, in dem sie eine Fisch-“herde“ mit elektronischen Gehirnen durch den Raum gleiten lassen. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen informierter Vorstellungskraft und spielerischer Realität. Heliumballons werden zu einem lebendigen Organismus. Sensoren, Software und Physik arbeiten zusammen, um ein Spektakel zu schaffen, das spielerisch unsere Wahrnehmung der Welt herausfordert.
Das Projekt wurde als European Digital Deal Project vom Creative Europe Programme der EU und dem österreichischen Ministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport kofinanziert.