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Semiha Berksoy: Die Stimme der Farbe

Die 2004 verstorbene Semiah Berksoy begann ihre Karriere in den frühen 1930er Jahren als Opernsängerin in der Türkei, ein Stipendium brachte sie 1936 für drei Jahre nach Berlin. Bei Kriegsausbruch verließ sie Deutschland und lebte wieder in der Türkei. Spätestens in den 1970er Jahren dann wandte sie sich zunehmend der Bildenden Kunst zu und vervollkommnete schnell ihren ganz eigenen Stil einer figurativen Kunst. Dabei verknüpfte sie ihre künstlerische Tätigkeit an der Oper immer wieder mit der ihrer Malerei, indem sie Sujets aus für die wichtigen Opern wie Toska, Fidelio oder Oedipus Rex darstellte. Typisch für Berksoys oftmals mit Textfragmenten kommentierte Malerei ist ihr Anknüpfen an die Strenge konstruktivistischer Kunst wie das Aufgreifen des Dämonischen eines Edward Munch, zudem nehmen diese Arbeiten mit ihren meist quasi lautstarken Farben schon früh die Expressivität der Neuen Wilden der 1980er Jahre vorweg.

Semiah Berksoys Ausstellung „Singing in Full Colour“, kuratiert von Sam Bardaouil und Till Fellrath, im Berliner Hamburger Bahnhof zeigt Arbeiten aus sechs Jahrzehnten und ist die erste Retrospektive der Künstlerin in Deutschland. Über 80 Gemälde und Zeichnungen werden jetzt im Hamburger Bahnhof vorgestellt, aber auch Tondokumente, Archivdokumente und Filmausschnitte mit der singenden Berksoy. Vor allem aber sind Selbstporträts, Porträts von befreundeten Künstlern und Künstlerinnen und Sujets aus der Opernwelt in der konzentrierten Präsentation zu sehen. Berksoy, von der übrigens ein Porträt ihrer ebenfalls malenden Mutter, im Rahmen der letzten Biennale die Venezia zu sehen war, erfährt hier durchaus so etwas wie eine gelungene Wiederentdeckung nicht nur in Berlin.

Ein gutes Beispiel für Berksoys Kunst ist etwa ihre relativ frühe Arbeit „Stehendes Selbstporträt“, 1968: Die Künstlerin hat sich da nackt gemalt, aufrecht stehend und kühn nach vorne schauend. Durch den Körper geht streng eine klar zu sehende Mittelachse, ein Konstruktionsmittel, das immer wieder in Berksoys Bildern zu finden ist. Nicht zuletzt fällt dann ihr fast bis zum Boden fallendes Haar, gemalt im poppigen Rosa, ins Auge. Die fast schon naive und stark abstrahierte Darstellung gewinnt eben durch ihre direkte Einfachheit an fast schon brutaler Expressivität und erinnert gleichzeitig an eine, wenn man so will, comichafte Folkloristik.

Der Ausstellungsraum im rechten Seitenflügel des Hamburger Bahnhofs wurde für „Singing in Full Colour“ so umgebaut, dass er mit seinen eingefügten Kulissen an ein Bühnenbild erinnert. Außerdem sind diverse musikalische Darbietungen der Künstlerin an zwei signifikanten Stellen im Raum zu hören, eine befindet sich gleich am Eingang, die andere am Ende des Raumes. Auch dadurch wird Semiah Berksoys dort gezeigte Kunst geschickt mit der Welt der Oper kurzgeschlossen.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Semiha Berksoy
06.12.2024 - 11.05.2025

Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart
10557 Berlin, Invalidenstraße 50- 51
Tel: +49 30 266424242
http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger-bahnhof/home.html
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr10-18, Do 10-20, Sa, So 11-18 h


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