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Gabriele Stötzer curated by Katalin Krasznahorkai: Gelebte Erzählung

Am 17. September erhielt die deutsche Künstlerin Gabriele Stötzer den mit 30.000 Euro dotierten Pauli Preis des Kunstvereins Bremen. Die Jury begründet ihre Entscheidung mit dem humanistischen und widerständigen Lebenswerk der Künstlerin, das unter den Bedingungen harter Repression der DDR entstand und über das Ende der Diktatur hinausging.

Gabriele Stötzer zeigt derzeit ihre Arbeiten erstmals in Österreich im Rahmen des Galerienfestivals „curated by“ in der Galerie Silvia Steinek. Unter dem Festival-Motto „Untold Narratives“ sehen wir Fotos, Filme aus den 80/90er Jahren und eine Skulptur die sie 2024 überarbeitete. Stötzer arbeitet auch als Schriftstellerin und hat neben mehreren Künstlerbüchern auch ein Buch über die Stasitätigkeit in ihrem künstlerischen Freundeskreis herausgegeben.[1]

1953 in Emleben, Thürigen geboren, kam Gabriele Stötzer 1969 nach Erfurt. Sie erlernte dort den Beruf der medizinisch-technischen Assistentin und machte die Abendmatura. 1973 studierte sie an der Pädagogischen Hochschule Deutsch und Kunsterziehung. Es war die einzige Möglichkeit Kunst in Erfurt zu studieren. Zulassungen zum Kunststudium an der Universität waren rar. Als sich Stötzer für einen Kommilitonen einsetzte und den eintönigen, mit Ideologie überfrachteten Kunstunterricht kritisierte wurde sie im Sommer 1976 exmatrikuliert. Damit war Stötzer nicht allein. Es war eine gängige Praxis des SED-Staates Berufswege zu behindern bzw. zu unterbinden.

Im Herbst desselben Jahres solidarisierte sie sich als eine der Ersten mit ihrer Unterschrift mit Wolf Biermann, dem eine Ausbürgerung durch die DDR-Behörden drohte. Stötzer tippte die Solidaritätserklärung zwanzig Mal ab und ihre Kolleg:innen unterschrieben, sie als die erste und unter ihrem verheirateten Namen Kachold. Noch in der Nacht bevor sie die Papiere von Erfurt nach Berlin bringen konnte, wurde sie verhaftet. Sie kam in Untersuchungshaft und bekam eine Verurteilung zu einem Jahr Haft, das sie unter anderem im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck in Sachsen absaß.

Die Verhaftung und den Gefängnisalltag erlebte Stötzer als traumatisch. In ihrer Performance „U-Haft Kachold 1990“ ging Sie nach dem Ende der DDR nochmals ihre Zelle und inszenierte mit Brot und Marmelade die Erinnerung an ihren Gefängnisalltag. Dabei wiegt sie einen in der Mitte durchschnittenen Laib Brot wie einen Säugling in dem Arm und schmiert Marmelade auf ihren Körper. In dieser Performance versinnbildlicht sie die totale Kontrolle des SED-Staates über weibliche Häftlinge, die selbst die Verabreichung der Pille anordnete oder entzog, je nach Gutdünken. Mit ihrer experimentellen Art der Darstellung mit Super8-Filmen und Fotografien, die sie teilweise in einem Leporello bei sich trug, war Gabriele Stötzer international nicht alleine. In den 1970er Jahren begannen Frauen in der westlichen Hemisphäre sich mit Selbstauslöser zu inszenieren und eigene Rahmenbedingung ihrer künstlerischen Tätigkeit zu schaffen. (Siehe die mit dem Selbstauslöser gemachten arrangierten Selbstporträts von Cindy Sherman oder die architektonischen Arrangements und Selbstportraits von Francesca Woodman.)

Stötzers Arbeit mit dem Brotlaib kann man durchaus mit der Arbeit „Hausfrauenschürze“ von Birgit Jürgenssen vergleichen, in der der ein Brotlaib aus dem Ofen ragt. Jürgenssen nimmt dabei auf den Spruch: „Einen Braten in der Röhre haben“ Bezug, der eine Schwangerschaft herabwürdigend bezeichnet.

Gabriele Stötzer fotografierte und filmte sich noch in weiteren Arbeiten in dem Gefängniskomplex, in den Haftzellen mit minimiertem Hofgang wie die Arbeiten „Stasi U-Haft Erfurt 1990“ und „Zelle 5 U-Haftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit Erfurt 1990“ zeigen. Beide Arbeiten sind bei Silvia Steinek zu sehen.

Während der Haft kam Stötzer zu der Erkenntnis, dass ihr Körper das einzig Verlässliche sei, das sie hatte und beschloss damit künstlerisch zu arbeiten. Nach kurzen Anstellungen entzog sie sich der Arbeitswelt in der DDR und begann sich im Freundeskreis und explizit mit Frauengruppen auszuprobieren.

1978 entstand in der Wohnung von Peter Penzinger in Erfurt eine Privatgalerie, die Gabriele Stötzer später von ihm übernahm und bis zu ihrer Auflösung 1981 betrieb: „Die Galerie im Flur.“ Selbstredend, dass diese von IM (inoffiziellen Mitarbeitern) der Stasi unterwandert wurde.

Bei Silvia Steinek ist auch eine Fotoserie aus dem Jahr 1984 zu sehen, die den Titel “Trans warten & sein“ trägt. Sie zeigt einen Mann in High Heels und Röckchen und in seiner Nacktheit. Stötzer experimentierte hier mit geschlechtlichen Rollen, Zuschreibungen und Infragestellungen. Das Modell, "Wilfried“, war ein IM, der die Künstlerin zu strafbaren Handlungen verführen sollte, was aber misslang.

1984 begann Stötzer mit Punks in Erfurt zu arbeiten. Die Annäherung vollzog sich langsam. Sie lernte einzelne junge Männer auf der Straße kennen als Sie mit den Worten „Haste mal ´ne Mark für mich?“ angesprochen wurde. Ein ungeheuerlicher Vorgang, war doch betteln ein Mangel des Kapitalismus, nicht des Kommunismus. Im DDR-Sozialismus hatten alle Arbeit zu haben. Doch die Punks weigerten sich zu arbeiten, ließen sich ihre Haare länger wachsen, was als Protest gewertet wurde.[2]  1984 entstand mit den Punks eine Arbeit im KZ Buchenwald. Unbeaufsichtigt von der musealen Lagerverwaltung entstanden Begegnungen von Anarchismus und ehemaliger Vernichtung: „Punks in Weimar“

Beschäftigt man sich näher mit der Künstlerin und Ihrem Werk, so stellt man fest, dass Gabriele Stötzers Leben, wie sie in einem ihrer Bücher selbst sagt, zwischen Aktivismus und Kunst pendelte. Genötigt durch eine Diktatur setzte sie sich mit der herrschenden Macht auseinander, in ihrer Ausbildung eingeschränkt und bevormundet musste sie sich mit der Lebensrealität der DDR auseinandersetzen. Sie tat dies in vorbildlicher Art und Weise wie die Besetzung des Stasi-Gebäudes am 4. Dezember 1989 zeigt, an der sie federführend beteiligt war und die Vernichtung von Stasiakten verhinderte. Erfurt war die erste Stadt in der zerfallenden DDR, in der Bürger:innen die Stasizentrale besetzten. Damit retteten sie die Unterlagen, in die sie Jahre später Einsicht nahm, um so wie viele DDR Bürger mit der bitteren Wahrheit konfrontiert zu werden, wer sie bespitzelte und sie und ihre Freunde denunzierte.

2013 erhielt Gabriele Stötzer für ihre Aktion, die Akten der Staatsicherheit gerettet zu haben, das Bundesverdienstkreuz vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck.

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[1] Gabriele Stötzer, Der lange Arm der Stasi. Leipzig 2022

[2] Auf Gabriele Stötzers Fotos von Punks sind kaum wilde Frisuren zu entdecken. Aus der Gegenwart betrachtet wirken die Punks harmlos. Wenn sich in der DDR ein Punk allerdings einen Irokesen schneiden ließ, musste er mit Haft rechnen. Die sogenannten „asozialen -Elemente wurden von der Straße weg verhaftet.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Gabriele Stötzer curated by Katalin Krasznahorkai
13.09 - 19.10.2024

silvia steinek galerie
1010 Wien, Eschenbachgasse 4
Tel: +431/512 87 59, Fax: +431/512 87 59
Email: galerie@steinek.at
http://www.galerie.steinek.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 13-18h
Sa: 11-15h


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