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Ulysses: Cut up Homer

Acht Mal findet sich James Joyce` "Ulysses" in Julius Deutschbauers Bibliothek der ungelesenen Bücher. Zu den dort erfassten Bekennern des Nichtgelesenhabens gesellen sich im Geiste unzählige Nichtbefragte. Die Verfasserin dieses Textes gehört auch dazu. Was die notorischen Nichtleser des "Ulysses" bisher alles verpasst haben, macht ihnen jetzt eine Ausstellung im Atelier Augarten unmissverständlich klar. Schon der theoretische Ansatz klingt so spannend, dass man sich wundert, dass es dergleichen noch nie gegeben hat. Es geht um die Wirkung des zwischen 1914 und 1921 entstandenen Buches auf die Entwicklung des modernen Kunstverständnisses. Im "Ulysses" verflicht Joyce Elemente aus der "Odyssee" des Homer mit dem alltäglichen Erleben dreier Bewohner von Dublin und füllt sprachspielerisch einen ganzen Roman mit den fiktiven Ereignissen und Begegnungen, den Gedanken und Assoziationen eines einzigen Tages, des 16. Juni 1904. Die hundertste Wiederkehr dieses Bloomsday war der willkommene Anlass zur Ausstellung. Es war der Kunstkritiker Clement Greenberg, der den "Ulysses" nicht lange nach seinem Erscheinen zum Paradigma für die bildende Kunst erklärte. Die dem Buch innewohnenden Qualitäten der "Nachahmung des Nachahmens" (Greenberg), die Thematisierung von Medialität und Vermitteltheit von Wahrnehmung, nehmen tatsächlich vorweg, worum es heutigen Künstlern geht. Neben Julius Deutschbauer und Gerhard Spring sind es im Augarten unter anderem Joseph Beuys, Lawrence Weiner, Raymond Pettibon, Jonathan Monk und Gordon Douglas, Birgit Jürgenssen, Cerith Wyn Evans und Markus Schinwald, die auf spannende Weise auf die verschiedenen Aspekte des komplexen Romans reagieren. Thomas Trummers Auswahl ist wie immer angenehm überschaubar und gerade dieses Mal sehr fein. Auch für jemanden, der das Buch nur über Sekundärliteratur kennt, ist jederzeit verständlich, wie sich die einzelnen Exponate darauf beziehen. Eine bessere Auflösung eines so komplexen Themas in visuelle und informative Elemente hat man in Ausstellungen noch kaum je gesehen. Das Ganze besitzt eine intellektuelle Leichtigkeit, die von Abgehobenheit weit entfernt ist. Selten konnte man sich in einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst so gut informieren und sie gleichzeitig derart genießen. Das gilt übrigens auch für den Katalog. Man hatte den "Ulysses" nie gelesen, weil man ihn für anstrengend hielt? Jetzt möchte man das nachholen.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Ulysses
05.05 - 15.08.2004

Augarten Contemporary
1020 Wien, Scherzergasse 1a
https://www.erstestiftung.org/de/events/kyjiw-bienniale-2023/
Öffnungszeiten: Mi - So 12-18 h


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