RAGE. Nadya Tolokonnikova / Pussy Riot: Wut als Kunst
Im Winkel eines Raums im OK Linz lehnt ein kleines Foto an der Wand. Zwei, drei Kerzen stehen davor, ein Blumenstrauß liegt am Boden, eine knallgelbe Quietschente daneben. Das Foto zeigt ein Porträt des russischen Regimekritikers Alexei Nawalny, der am 15. oder 16. Februar dieses Jahres in einem russischen Strafgefangenenlager unter ungeklärten Umständen verstorben ist. Nawalny, der schärfste Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, war auch ein enger Freud von Nadya Tolokonnikova, die ihm mit dieser kleinen Inszenierung ihre Reverenz erweist. An der Wand über dem Portrait lässt sie keinen Zweifel, wen sie für den Tod Nawalnys verantwortlich macht. УБИЙЦЫ, MURDERERS steht auf Transparenten die bei einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Berlin hochgehalten wurden. In Russland selbst, hätte diese Aktion mit Sicherheit zur sofortigen Verhaftung geführt.
Nadya Tolokonnikova, Frontfrau der feministischen Punk-Band Pussy Riot, hätte fast das Schicksal Nawalnys ereilt, als sie 2012 wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ nach der ikonischen Performance von Pussy Riot in der Moskauer Erlöserkirche, gemeinsam mit Maria Aljochina zu zwei Jahren Straflager verurteilt wurde. Nach einem Hungerstreik Tolokonnikovas kamen beide im Zuge einer Amnestie im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi schließlich frei – was sie übrigens nicht daran hinderte, auch in Sotschi zu protestieren.
Nadya Tolokonnikova lebt mittlerweile an wechselnden Wohnorten im Westen, und wird nicht müde, ihre Kritik am diktatorischen System Putins in Reden zu formulieren, in Kunst zu überführen, oder bei Auftritten in die Welt zu schreien. Erst kürzlich wurde sie von Russland zum Staatsfeind Nummer eins erklärt.
Das OK Linz gibt ihr erstmals die Möglichkeit, ihre künstlerischen Arbeiten in einem institutionellen Kontext zu zeigen. Auch in diesen dreht sich alles um Protest, um Sebstbestimmtheit als Frau, um Gleichstellung für alle Geschlechter und nicht zuletzt um den Kampf gegen Wladimir Putin.
Am eindrücklichsten geschieht dies gleich am Beginn der Ausstellung. In einem fast sakral anmutenden, verdunkelten Raum stehen kleine Glasfläschchen in Vitrinen, gesäumt von Bildern mit Symbolen, entlehnt aus der Russisch-Orthodoxen Kirche. An der Rückwand läuft das 2023 produzierte Performance-Video „Putin’s Ashes“. Zwölf Frauen aus Russland, Belarus und der Ukraine, gekleidet in die für Pussy Riot typischen Sturmhauben, versammeln sich um ein Porträt Putins, das in Flammen aufgeht. „Ich schicke Dich in die Hölle“ singt Nadya Tolokonnikova, während sie den Knopf drückt, der Wladimir Putin neutralisieren soll. Die Asche des Porträts wurde in die kleinen Glasfläschchen gefüllt und stehen dafür, dass solch ein Symbol auch Realität werden kann, wie Tolokonnikova im Interview erklärt.
Im Obergeschoß geht es in die nachempfundene Gefängniszelle des sibirischen Straflagers, in dem Tolokonnikova ihren Hungerstreik duchführte, daneben eine Installation von Stichwerkzeugen, wie sie in Gefängnissen von den Insassen aus allen möglichen Gegenständen angefertigt werden, eingerahmt in Plüsch – eine Verbindung von Gegensätzen, was der Künstlerin schon in den frühen Performances von Pussy Riot wichtig war. Ganz in diesem Sinne treffen auf dem Vorplatz des OK in der kleinen „Kapelle Unserer lieben Frau von Altötting“ die Kuppelbilder mit Darstellungen aus dem Leben Marias auf BDSM-Punk-Ästhetik.
Selten tritt Kunst mit einer so klaren Botschaft auf. „Putin muss weg“, sagt auch Anna Jermolaewa im ⤇ artmagazine-Interview im Österreichischen Pavillon in Venedig. Das ist das erklärte Ziel von Nadya Tolokonnikova, die am Ende unseres Interviews noch der heimischen Politik eine Botschaft mitgibt: Unterstützt die Ukraine so gut ihr könnt und beendet die Finanzierung der russischen Kriegsmaschinerie (durch Gasimporte, Anm. d. Red.).
21.06.2024 - 06.01.2025
OK Linz
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