Roee Rosen: The Kafka Companion to Wellness: Rolle und Engagement
Berühmt(-berüchtigt) wurde Roee Rosen spätestens mit seiner Arbeit „Live and Die as Eva Braun“, 1994-97, auf der Documenta 14: Der israelische Künstler inszenierte damals ein Rollenspiel, das zur Identifikation mit Eva Braun, der Geliebten Adolf Hitlers, animierte, um mit Hilfe dieses provokanten Manövers über die offizielle Erinnerungspolitik des Staates Israels zu reflektieren. Präzise kalkulierte Rollenspiele geben jetzt auch in Rosens sehenswerter Einzelausstellung „The Kafka Companion To Wellness“ den Ton an. Entscheidend ist auch hier, dass sich diese Rollenspiele eben nicht, wie derzeit oftmals üblich, in einer ach so sensiblen Identitätspolitik erschöpfen, sondern immer wieder auch dezidiert politische Themen diskutieren.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Roee Rosens Arbeitsreihe „Maxim Komar-Myshkin (geboren 1978, Sowjetunion, gestorben 2011, Israel), 2011- 16. Im Zentrum steht da der fiktive Künstler und Poet Efim Poplavsky, der unter seinem Künstlernamen Maxim Komar-Myshkin von Rosen in eine vielschichtige Erzählung eingeführt wird. Komar-Myshkin hat derzufolge Anfang der 2000er Jahre Moskau verlassen und sich dann in Tel Aviv niedergelassen. Der erklärte Grund für seine fluchtartige Auswanderung: Der Künstler fühlte sich von Wladimir Putin, der angeblich seine Ermordung angeordnet hatte, bedroht. Ein Konvolut aus Gouachen und Gedichten wurden, so Rosens Erzählung, nach dessen Tod in der Wohnung des Künstlers gefunden. In diesen im Kunstverein Hannover nun ausgestellten Bildern voller kulturhistorischer Zitate wird nicht nur Komar-Myshkins eigenes fiktives Schicksal in Putins Russland, sondern zudem die gesamte „tatsächliche“ Geschichte des Landes kritisch beäugt.
Das Video „The Confessions of Roee Rosen“, 2008, dann scheint zunächst autobiographischer Natur zu sein, wird dort doch vom Leben des angeblich kurz vor seinem Ableben stehenden Rosen erzählt. Schon zu Beginn des 58 Minuten langen Videos aber wird die Wahrheit der hier zu hörenden Bekenntnisse bezweifelt. Der fiktive Charakter dieser Autobiographie wird in der Folge vor allem dadurch betont, dass Rosens Bekenntnisse vorgetragen werden von drei Frauen. Diese, wenn man so will, „Geschlechtsumwandlung“ weist den identitätspolitischen Anspruch einer gendergerechten Authentizität zurück. Hinzukommt, dass die hier Sprechenden Arbeiterinnen sind, die in Israel ohne Aufenthaltsgenehmigung leben. Die drei Frauen sind zudem des Hebräischen, der Sprache, mit der sie die „The Confessions of Roee Rosen“ vortragen, nicht mächtig. Sie sprechen also, wie Deleuze/Guattari in ihrer Schrift „Franz Kafka. Für eine kleine Literatur“, 1975, beschreiben, als Minderheit in einer ihnen fremden Sprache. Ein „Deterritorialisierungskoeffizient“ (Deleuze/Guattari) ist daher bei ihren zuweilen schon holperigen Darbietungen immer wieder spürbar. So kommen hier Momente wie Entfremdung und Fremdheit auf gleich mehreren Ebenen ins Spiel, prekäre Momente, die nicht zuletzt auf nachhaltige Probleme von Migration und Flucht verweisen.
Die letzte Arbeit in der überzeugenden, von Christoph Platz-Gallus und Krzysztof Kosciuczuk kuratierten Ausstellung war jüngst bereits am Steirischen Herbst zu sehen, die Serie „The Gaza War Tattoos“, 2024, nämlich. Es handelt sich hier um Fotografien von Tattoos, die den Gaza-Krieg kommentieren. Da ist z. B. ein Rücken zu sehen, auf dem die Namen israelischer Militärmanöver tätowiert sind. Auf einer anderen „Hautlandschaf“ (Rosen) stehen die Worte „total victory“, also die Parole, die der israelische Premierminister des öfteren öffentlich ausgegeben hat – eine Rhetorik, die als Hybrid von „Endsieg“ und „totalen Krieg“ schwer zu verdauen ist.
09.11.2024 - 11.01.2025
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