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Zwischen Pixel und Pigment. Hybride Malerei in postdigitalen Zeiten: Flanieren ohne Narrativ

„Zwischen Pixel und Pigment liegt eine faszinierende Schnittstelle, an der digitale und traditionelle Kunsttechniken aufeinandertreffen und sich vermischen. Dieser Bereich erforscht das Zusammenspiel von digital erzeugten Bildern und handgefertigten Maltechniken, wodurch neue visuelle Sprachen und Ausdrucksformen entstehen.“ Diese mit ChatGPT generierten Sätze stellten die Kurator:innen der Ausstellung Zwischen Pixel und Pigment. Hybride Malerei in postdigitalen Zeiten ihrem Konzept voran, ohne damit bereits allzu viel zu verraten. Wie bei einem guten Horoskop bleiben auch die Formulierungen der KI vage und reich an Assoziationen.

In einem Joint Venture der Kunsthalle Bielefeld und dem benachbarten Marta Herford wird der benannte mediale Zwischenraum nun in einer Doppelausstellung konkretisiert mit insgesamt 150 Arbeiten von 25 internationalen Künstler:innen, die zwischen 1968 und 2024 entstanden sind. Anliegen der Ausstellung ist es zu verdeutlich, „wie Künstler:innen digitale Werkzeuge einsetzen, um traditionelle Maltechniken zu erweitern und zu transformieren, wodurch digitale und analoge Medien in einem hybriden Feld miteinander verschmelzen.“ Während alle Jahre wieder das „Happy Fainting of Painting“ (Hans-Jürgen Hafner / Gunter Reski 2014) diagnostiziert wird und das „Ende der Malerei“ ohnehin zum diskursiven Repertoire von „Malerei als Dispositiv“ (Helmut Draxler 2013) gehört, wird diesem in Bielefeld und Herford eine enorme Expansion entgegen gehalten. Digitalität gilt längst als epochale Herausforderung und Versprechen zugleich. Damit lassen sich nicht nur Wahlkampfkampagnen, sondern auch die Betrachtung von Malerei mit dem Versprechen von Aktualität und Innovation ausstatten: „Diese durchdringt alle Lebensbereiche und beeinflusst die Wahrnehmung, das Denken, die Kommunikation und das Handeln.“ Auch die Produktion und Rezeption von Malerei ist davon nicht unberührt geblieben. Entsprechend weit spannt die Ausstellung den Bogen von Pionier:innen wie Vera Molnar oder Andy Warhol bis hin zu jüngsten Produktion von Werken, die erst in diesem Jahr die Ateliers verlassen haben. Der formulierte Anspruch ist es, anhand einer exemplarischen Auswahl an Positionen einen historischen Fortschritt zur Darstellung zu bringen. Nicht allein eine Leistungsschau des „Neuen“ und „Relevanten“ soll geboten werden. Vielmehr soll das Publikum dazu herausgefordert werden, „die Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart neu zu interpretieren und die Rolle der Malerei in einer zunehmend digitalisierten Welt zu überdenken.“ Dafür werden vier Ordnungsbegriffe und Themensetzungen für den Ausstellungsrundgang angeboten. Diese sind Geste, Körper, Muster und Raum. Leider bleiben sie jedoch zu allgemein, um die Betrachtung der Werke vor Ort eingehender zu informieren. Der kuratorische Überbau tritt dort hinter einer musealen Hängung zurück, die auf die Wirkung der Werke vertraut. Ein internationales wissenschaftliches Symposium in Kooperation mit der Kunstakademie Münster am 19. und 20. Juli 2024 sollte wesentliche Fragestellungen der Ausstellung vertiefen. Auf die daraus resultierende Publikation darf man gespannt sein.

Bereits auf den ersten Blick evident erscheint hybride Malerei beim österreichischen Künstler Philipp Timischl (*1989) verwirklicht. Leinwände sind hier direkt mit Video-Screens zu einem Tafelbild verschraubt. Das Verfahren ist denkbar einfach: Eine KI erweitert die figürliche oder abstrakte Malerei und überführt sie in ein neues Medium. Auf einer eingeblendeten Textebene wird überdies eine Selbstreflexion der analogen und digitalen Bilder inszeniert. Mit anderen Worten handelt es sich um eine rekursive Struktur, wie sie bereits Rosalind Krauss in ihrer Kritik der Medienspezifik stark machte. Zur Darstellung gebracht wird nichts geringeres als Krauss Beobachtung, dass Malerei „eher als etwas Gemachtes als etwas Gegebenes ist“. Was Malerei ist oder sein könnte, bleibt demnach eine offene Frage, die in Theorie und Praxis immer wieder produktiv gemacht werden sollte.

Tim Berresheims (*1975) Arbeit Zitrisch das Auge volllaufen lassen (2024) verweist bereits mit seinem humorvollen Titel auf diesen Zusammenhang. Die Wahrnehmung von Kunst wird als Rausch mit allen Sinnen beschrieben. Als Genussmittel scannte der Künstler Gemälde aus der Sammlung der Kunsthalle Bielefeld, um sie dann in einem virtuellen Raum malerisch zu bearbeiten. Was entsteht, ist eine abstrakt-gestische Computer-Malerei. Die Präsentation in der Ausstellung lädt zu einem vergleichenden Sehen ein. Doch erinnert Berresheims Arbeit nur noch vage an die als Datenmaterial verwendeten Sammlungswerke. Zwischen Pixel und Pigment zeigt sich somit ein sehr großer Gestaltungsspielraum. Die Diskussion um die Differenz zwischen analogem und digitalem Bild, wie sie in Bezug auf Fotografie und Videokunst bereits seit langem geführt wird, erfährt damit eine Übersetzung in die Debatte um Malerei.

Ohne vergleichbare Rechnerleistung kommen die Gemälde von Corinne Wasmuth (*1964) aus, die in beiden Ausstellungsteilen zu sehen sind. Die hybriden Bildräume, die Wasmuth seit Beginn der Zweitausender-Jahre mit Bildbearbeitungsprogrammen entwickelt, muten dagegen fast schon altmeisterlich an. Verfahren der Collage und Montage werden dort vor allem als Gestaltungsmittel einsichtig, die weniger von technischen Innovationen abhängen, als vielmehr von einem künstlerischen Wissen um den Bildaufbau. Dieser Unterschied zwischen Medium und Form ist umso wichtiger festzuhalten, da er in der Ausstellung insgesamt immer wieder durcheinander gebracht wird.

Die Arbeiten der portugiesischen Künstlerin Sónia Alemied (*1978) spielen mit Übersetzungen. Strickmuster, Darstellungen von Computer Codes, DNA-Strängen, Klangwellen und dergleichen kombiniert sie zu metaphernreichen Bildgefügen. Ihre einzelnen Werke scheinen lediglich Ausschnitte oder momenthafte Materialisierungen eines visuellen Kontinuums zu sein. Malerei funktioniert hier als Zeichen innerhalb eines multimedialen Systems, das sie immer wieder neu als Tafelbilder interpretiert.

Dem diametral entgegengesetzt verfährt der Niederländer Rafaël Rozendaal (*1980) mit seinem 2014 entwickelten Browser-Plug-in abstractbrowsing.net. Die Open Source App reduziert die Informationen von Internetseiten und Suchverläufen in abstrakte geometrische Formen. In der Kunsthalle Bielfeld sind diese wiederum als großformatige Wandteppiche produziert worden, die an die Hard-Edge Malerei eines Peter Halley erinnern. Die Benutzeroberfläche wird so zur flächigen Malerei. Text wird zum Textil.

Charlotte Johannesson (*1943) arbeitete schon 1978 mit einem der frühen Heimcomputer, dem Apple II. Als Weberin ausgebildet, zeichnete sie auf Millimeterpapier einfache Motive, die sie dann auch auf dem Computer in einer Pixelstruktur umsetzte. Zu dieser Zeit war die Verbindung von Webstuhl und Computergrafik tatsächlich noch sehr eng. Im Marta Herford sind einige ihrer Digital Slide Shows (1981–85) zu sehen. Entstanden sind diese im Digital Theater (1978–85), einem Mikrocomputer-Grafikstudio, das Johannesson gemeinsam mit ihrem Mann betrieb. Unter den weitgehend bekannten Positionen der Ausstellung ist dies sicherlich eine Entdeckung. Als kuratorische Setzung im Raum verdeutlichen Johannessons Werke auch, wie spannend der historische Vergleich hätte sein können. Leider muss dieser im Rundgang von den Besucher:innen selbst immer wieder gesucht werden.

Weniger gelungen ist die Präsentation der feinen Computergrafiken von Vera Molnar (1924–2023). Sie programmierte bereits ab 1959 einfache algorithmische Programme. Zunächst von Hand auf Zeichenpapier, ab den späten 60er Jahren dann mit einem Großrechner. Zu Recht erfahren diese Werke vermehrt Aufmerksamkeit und Wertschätzung. In den Herforder Museumsräumen gehen sie jedoch unter. Dies liegt vor allem an der Nachbarschaft zu raumgreifenden Installationen von Werken des Österreichers Peter Kogler (*1959) und der Amerikanerin Jacqueline Humphries (*1960). Von Kogler, der seit den 80er Jahren für seine am Computer entworfenen Kunstwerke bekannt ist, wird eine raumgreifende Werkschau geboten. Das Pendant dazu bildet die Installation von Humphries. Auf einer eingezogenen Trockenbauwand wird ihre Malerei architektonisch und bildet ein Raumgefüge mit Koglers Kunst. In der großzügigen Architektur von Frank Gehry wirken die kleinformatigen Blätter von Molnar etwas verloren und können ihre subtileren Stärken nicht richtig ausspielen.

Mit KAYAs House (2015) schließlich wird auch ein ganzes Gartenhaus in der Ausstellung gezeigt. Das Kunstprojekt KAYA von Kerstin Brätsch (*1979) und Debo Eilers (*1974) hat damit einen Rückzugsort geschaffen. Die dekorierte Hütte, wie sich mit Anspielung auf eine Formulierung der Architektin Denise Scott Brown auch sagen ließe, stellt Malerei als einen Gemeinschaftsraum vor. Mit erkennbaren Anleihen an Jugend und Subkultur wird das soziale Milieu der Künstler:innen ausgestellt. Dazu laufen die Playlists befreundeter Akteur:innen aus dem Kunstfeld. Was Malerei ist oder sein kann, gilt hier wohl weniger als eine Frage des etablierten Kanons. Entscheidender ist die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Gruppe. Die zwei über das Haus gehängten Bodybags sind augenzwinkernde Anspielungen auf den nicht tot zu kriegenden „Tod der Malerei“. Die versprochene Aufenthaltsqualität will sich jedoch im Ausstellungskontext nicht so recht einstellen, da es dann doch etwas beengt ist.

Zweifellos hat die Ausstellung Kenner:innen und Liebhaber:innen zeitgenössischer Malerei sehr viel anzubieten. Dennoch kann das Ausstellungskonzept nicht restlos überzeugen. Im Ausstellungsparcours bleibt der formulierte Anspruch weitgehend assoziativ. Ein stärkerer Fokus auf ausgewählte Themen wäre wünschenswert. Für einen historischen Überblick bräuchte es ein stärkeres Narrativ, das sich auch beim Rundgang durch die Ausstellung jeder Zeit wiederfinden ließe. Ohne dieses Narrativ sind auch die mitgegebenen Thementexte wenig hilfreich. Am meisten Freude bietet die Ausstellung wohl all jenen, die bereit sind, entspannt zu flanieren und sich hier und da von den einzelnen Werken anziehen zu lassen.

Mehr Texte von Thorsten Schneider

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Zwischen Pixel und Pigment. Hybride Malerei in postdigitalen Zeiten
07.07 - 10.11.2024

Marta Herford
32052 Herford, Goebenstraße 4 - 10
Tel: +49(0)52 21 - 99 44 30, Fax: +49(0)52 21 - 99 44 30 - 23
Email: info@marta-herford.de
http://www.marta-herford.de
Öffnungszeiten: Di-Fr 14 – 20, Sa 11-20, So 11-18 h

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