Die Sammlung betrachten & Cranach’s Holy Productivity An Insert by Klaus Scherübel: Doppelportrait als Kreativunternehmer
Einsam steht der Künstler auf einem mit klassischen Adventmarkt-Buden bestückten Platz. Sein Blick fällt auf das Mobiltelefon in seiner Hand, neben ihm ein großer Koffer. “The Artist at Work“ betitelt Klaus Scherübel die Fotografie, denn im 21. Jahrhundert befindet sich der Ort an dem Kunst geschaffen wird, eben nicht mehr zwangsläufig im Atelier, sondern wie in diesem Fall auf dem Marktplatz von Wittenberg.
Für sein Insert in den Kunstsammlungen der Akademie der bildenden Künste begibt Scherübel sich auf die Spuren von Lucas Cranach dem Älteren (1472 – 1553), der sich am Beginn des 16. Jahrhunderts ein kleines Imperium aufgebaut hatte. Nicht nur dass er die fast schon serielle Produktion beliebter Bildsujets aus seiner Werkstatt mit vielen Mitarbeitern höchst erfolgreich organisierte – er war Unternehmer, Immobilienbesitzer, Politiker und Verleger und gehörte so zu den einflussreichsten Bürgern von Wittenberg. Das Werk an dem Scherübel seine Auseinandersetzung mit der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft festmacht, ist das 1510-12 entstandene Gemälde „Die Heilige Sippe“ aus der Sammlung der Akademie. Die 89 x 71 cm große Holztafel zeigt im Zentrum die Anna-Selbdritt-Gruppe (Anna, Jesus und Maria). Darum herum gruppiert Cranach die weiteren Verwandten inklusive der drei Ehemänner der Anna, ihren zwei weiteren Töchtern, deren Kinder und Ehemänner. Seiner Stellung als Bürger bewusst setzt Cranach sich selbst als einer der Ehemänner ins Bild und wahrscheinlich auch seinen Schwiegervater, den Gothaer Ratsherrn Jobst Brengbier. Mit dem ohne Auftrag entstandenen Gemälde dokumentiert Cranach nicht nur seine unbestrittene Rolle als erfolgreicher Künstler, sondern bringt auch seine vielschichtigen Beziehungen ins Bild, die ihm aus dieser Stellung erwachsen, inklusive vermuteter architektonischer Details aus seinem Immobilienbesitz. Parallel hintereinander geschichtet, gleichen diese architektonischen Versatzstücke eher einer Theaterbühne als einem offenen Platz (in Wittenberg?).
Klaus Scherübel zerlegt das Raumkonstrukt in seine Einzelteile und bildet daraus im zweiten Raum der Gemäldegalerie eine ebenso artifizielle Bühnenlandschaft, das dem Publikum auch einen Blick hinter die Kulissen erlaubt. Die Ergebnisse seines eigenen forschenden Blicks in die Lebens- und Arbeitsverhältnisse Cranachs platziert Scherübel dabei auf der gegenüberliegenden Wand des Ausstellungsraums in Form einer Schautafel mit kurzen Texten zu Cranachs engerem und weiteren wirtschaftlichem und politischen Umfeld. Mit der Dekonstruktion des Gemäldes und seinem Ansatz, nicht nur das Künstlergenie, sondern den vielfach vernetzten Kreativen ins Zentrum der Betrachtung zu stellen, gelingt es Klaus Scherübel, Cranach eine für uns zeitgemäße Rolle zuzuschreiben und sich selbst in einem Doppelportrait an die Seite des erfolgreichen Künstlers zu stellen.
Die weiterführende Ausstellung nimmt Cranachs Rolle als Künstler zwischen Mittelalter und Neuzeit zum Ausgangspunkt für die Weiterführung in unterschiedliche Ausprägungen des Barock und der Renaissance, die sich in der Sammlung wiederfinden. In der Ganggalerie schließt sich zuletzt der Kreis zu Cranachs Sebstporträt in der „Heiligen Sippe“ mit Beispielen von Künstlerselbstbildnissen vom Barock bis zum Biedermeier. Mehr dazu von Kuratorin Claudia Koch im Video

26.06.2024 - 16.02.2025
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