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Klassik und Kolonialismus

Die National Gallery in London und das Getty Museum Los Angeles haben kürzlich ein Bild gemeinsam erworben. Das Joint Venture wurde hervorgehoben, der das Ausfuhrverbot umging, und die Geschichte des Porträtierten. Ein barfüßiger junger Mann ist zu sehen. In einem Moment hält er inne, als wäre er bei seinem Bühnenauftritt unterbrochen. Sein Körper ist in einen schweren Kaftan gehüllt. Die Farbnuancen im Ocker fallen auf. Während der Gürtel sandfarben ist, bildet der Mantel einen Mittelwert, Turban und Schal sind aus weißem Leinen. Links im Hintergrund verdunkelt sich der Raum. Die Blätter dichter Palmzweige nehmen die Silhouette der Figur auf. Sie bilden einen kontrastreichen und verwilderten Fond. Gewitterwolken, die rechts aufziehen, unterstreichen das dramatische Wirken der Natur. Ein Fluss ist dort zu sehen, der seinen Lauf durch eine fremdländische Flora bahnt. Sir Joshua Reynolds malte das Bild im Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, doch der Jüngling stammt nicht aus der Neuen Welt, sondern aus dem südlichen Pazifik. Dennoch wird der Mann aus der Südsee in der skulpturalen Pose der mediterranen Antike wiedergegeben. Seine Beinstellung und der nach links gewandte Blick sind dem Apollo des Belvedere nachgebildet. Winckelmanns Klimatheorie ist noch gültig, wonach sich das ewiglich Schöne nur im Warmen bilden könne. Dazu wird die „edle Einfalt“, die Winckelmann am klassischen Griechenland rühmte, mit der Vorstellung vom „edlen Wilden“ verknüpft, die seit Rousseau auch für die englische Aufklärung verbindlich wird. Für Reynolds und seine Zeit lässt sich der globale Süden demnach nur aus dem Kanon europäischer Traditionen deuten. Das Bild bezeugt einen Kolonialismus, der das Andere aus dem Klassischen liest; – ein Beispiel einer Joint Venture als kulturelle Aneignung.

Mai oder Omai, so hieß der Jüngling mit den tätowierten Händen, traf in Europa im Juli 1774 ein. Der Polynesier war auf dem Rückweg von Captain Cooks zweiter Weltumsegelung nach England gereist. Dort erhielt er Audienzen bei den höchsten Repräsentanten des Kolonialreiches, darunter dem König und dem Präsident der Royal Society. Omai wurde zum Importgut für elitäre Zurschaustellung, er war kein Sklave, wie jene, die zur selben Zeit zu Tausenden von Afrika aus den Atlantik in Richtung Unfreiheit queren. Ohne Zweifel ist das Bild ein historisches Zeugnis und wohl auch ein gelungenes Beispiel europäischer Malerei. Und dennoch wäre eine andere Perspektive zu empfehlen. Nicht nur wegen der Bestimmungen der Ausfuhrbeschränkung, die für das Vereinigte Königreich gelten, aber nicht für eroberte und besetzte Länder.

Denn auf der gleichen Reise befand sich Georg Forster, etwa gleich alt wie der Jüngling mit Turban. Forster begleitete seinen Vater, um von der unvertrauten Pflanzenwelt der pazifischen Inseln Illustrationen anzufertigen. Noch mehr als eine bildnerische Begabung zeichnete Forster seine gepflegte Redeweise und ein wacher Geist aus. Der Gelehrte, der mehrere Sprachen sprach und auch manche der Indigenen erlernte, bestand auf der Gleichheit aller Menschen, trotz verschiedener Bräuche und Sitten. Eine Projektion der eigenen Kultur auf die fremde – wie bei Reynolds – lag ihm fern. Ihm eine Ausstellung in einem dieser Museen einzurichten, wäre sicherlich ein wichtiger Schritt. Forsters eloquente Schriften sind verfügbar, Bestände von der Reise in den Südpazifik befinden sich im Völkerkundlichen Museum in Göttingen, im aufklärerischen Garten von Wörlitz und auch im Weltmuseum in Wien.

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ABB: Joshua Reynolds: Portrait of Mai (Omai), Öl auf Leinwand, ca 1776, National Gallery London und Getty Museum Los Angeles

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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