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Isa Rosenberger - Schatten, Lücken, Leerstellen: Vom ewigen Problem der Marginalisierung

Isa Rosenbergers erste umfangreiche Personale ist weniger Ausstellung im klassischen Sinne als Bühne und performativer Erfahrungsraum – die Plattform Space02 des „Friendy Alien“ lädt sowieso durch ihre verschrobene Architektur und ihren opulenten „Black-Box“-Charakter eher zu alternativen Ausstellungformaten ein. Die Schau mit dem sprechenden Titel „Schatten, Lücken, Leerstellen“ bleibt trotz konzentrierter Zusammenstellung immersiv, da die sieben ausgestellten Videoinstallationen in den physischen Raum wuchern und ins Gegenständliche driften. Luken, Überblendungen, Schächte und Gitter geben den Blick auf andere Werke frei, von jeder Position aus kann hier zeitgleich auch etwas anderes ins Auge gefasst werden, als das, was sich unmittelbar auftut. Doch bleibt auch das ähnlich, weil sich das Gesehene in den Kontext des Gesamten einfügt. Der Blick schweift dann zum Beispiel durch ein Lochblech oder Stäbegitter von einem Werk ins Nächste. Paradoxerweise ergibt sich die offene Konfiguration der Schau labyrinthisch durch verschachtelte Wege und überkreuzte Perspektiven. Selbst das Inventar, die Wandpaneele, Vorhänge, Sitzbänke, Gerüste und wir selbst gehören zur Inszenierung dazu, sowie sich Architektur und Projektion, Gegenwart und Vergangenheit, verzahnen. Den Beginn macht MANDA, ein Stäbetanz, der objekthaft durch hölzerne Stelen in den Raum übergreift und das verdrängte Vergangene mit dem präsenten Gegenwärtigen verknüpft. Im Zentrum tänzelt in diesem Fall Choreographin Celia Millan dem Vergessen entgegen, sie personifiziert verlorengegangene Geschichten zweier untergegangener Bauhaus-Protagonistinnen namens Lu Märten und Manda von Kreibig, um performativ, über körperliche Selbstaneignung, Lücken und Leerstellen des kollektiven, institutionellen Gedächtnisses zu füllen. Der Titel der Arbeit ist sprechend: MANDA spielt nicht nur auf eine der Protagonistinnen an, sondern birgt zeitgleich das französische Substantiv „la manda“, zu Deutsch „das Vermächtnis“, in sich. Der Schauplatz dieses Schauspiels ist mit dem Bauhaus-Depot in Dessau treffend, aber durchwegs konfrontativ gewählt, weil das Archiv als Ort des Bewahrens auch immer den Verlust und das Abwesende, Nicht-Gesammelte in sich trägt, doch in seiner changierenden Funktion die potentielle Aktivierung des Ausgeblendeten möglich machen kann. Das damit Fragen zur Gedächtnisleistung und Verantwortlichkeit von Museen und Archiven, auch ihrer Rolle bei der Geschichtsschreibung, schlagend werden, versteht sich von selbst.

Unmittelbar an MANDA dockt Courage an, eine im Zuge der Wiener Festwochen 2015 in Auseinandersetzung mit dem Hotel Metropole entstandene Arbeit, die sich der zwangsbedingt emigrierten und nach dem zweiten Weltkrieg nach Wien zurückgekehrten, jüdischen Theatermacherin Stella Kadmon nähert. Courage zeigt nicht nur, welche richtungsweisende Rolle der Zufall bei Rosenberger einnimmt – man beachte die räumliche Nähe des von Kadmon betriebenen Theater Courage zum Hotel Metropole als Entstehungsvoraussetzung – sondern auch, wie akribisch sich die Künstlerin Transformationen annimmt und immer aus einer Vielzahl an Perspektiven heraus betrachtet, wobei sie persönliche Erinnerungen mit Archivmaterialien und performative Wiederaufführungen mit eigener Aneignungs- und Aufführungspraktiken vermengt. Verweise ziehen sich durch das Moment des Epigonischen auf, im Sinne von Beziehungen, aber auch von zu-fälligen Begegnungen und ungeplanten Verhältnissen. Nicht zufällig bringt sich in Courage mit Emmy Werner eine Wegbegleiterin Kadmons ein, um aus persönlicher Sicht über Hintergründe des Lebens der Theaterinhaberin zu sinnieren. In … das weite Land, woher sie kommt wird dann an ein vergessenes Stück der Tanzpionierin Gertrud Kraus erinnert, verkörpert von Loulou Omer, ihres Zeichens Tochter einer Schülerin von Kraus –wieder poppen biografische Verbindungslinien auf, diesmal aber verworrener und über mehrere Ecken erstreckend. Wie Manda und Courage fußt diese Arbeit auf Kollaborationen mit Performer:innen, die Rosenberger als „temporäre Allianzen“ bezeichnet, weil es ihr darum geht, den historisch bedingten Lücken, die in ihrem Verständnis immer auch Freiräume und Projektionsflächen sind, über das eigene (Körper)Wissen näher zu kommen. Dieser Körperakt soll aber auch dabei helfen, Geschichte und Geschichten aktualisierend ins Heute zu verfrachten.

Wie dann Vergangenheit und Gegenwart zum fluiden Ganzen werden, zeigt Spiralen mit ernüchternder, fast schon pathetischer Kapitalismuskritik: Der 1932 uraufgeführte Grüne Tisch von Kurt Jooss, eigentlich als choreographiertes Ballett und Totentanz in acht Bildern in seine Zeit eingebettet, wird hier als zeitgenössische Performance vor der Österreichischen Nationalbank in Wien reinszeniert, in seiner Reminiszenz gewürdigt, aber auch neu gedacht. Die Videoinstallation beinhaltet nicht nur die ausführlich recherchierte Expansion österreichischer Banken nach Südeuropa, sondern ist zeitlich dialogisch angelegt. Dass mit Amanda Piña eine Schülerin der ausgerechnet von Kurt Joos gegründeten Tanzschule „Centro de Danza Espiral“ für die Inszenierung ausgewählt wurde, zeigt, wie ausschweifend die sich mitunter durchaus zufällig ergebenden Verbindungslinien im Werk Rosenbergers gedacht und umgesetzt werden. Ganz ins Heute tritt Got it rough ´cause I am a She, ein Film mit fünf obdachlosen Frauen, die die Ungleichheit im 21. Jahrhundert anprangern. Café Vienne und der von Sängerin Tini Trampler performte Coffeehouse Song zeigt schließlich vor dem Hintergrund des Kaffeehauses als Austauschplattform früher Feministinnen, wie scheinbar banale Orte gesellschaftsrelevant werden können.

Die Schau ist wirkungsstark, wenn auch nicht überladend. Angesichts der komprimierten Zusammenschau bei gleichzeitiger Breite der angesprochenen Themen, bleiben zwangsbedingt Leerstellen, die aber im Werk Rosenbergers ubiquitär wirken – im Sinne eines räumlich-zeitlichen Erlebnisses mit Spielraum zur individuellen Erweiterung und Vollendung.

Mehr Texte von Florian Gucher

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Isa Rosenberger - Schatten, Lücken, Leerstellen
10.02 - 01.05.2023

Kunsthaus Graz
8020 Graz, Lendkai 1
Tel: +43/316/8017-9200, Fax: +43/316/8017-9800
Email: info@kunsthausgraz.at
http://www.kunsthausgraz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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