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Zhanna Kadyrova - Daily Bread. Eine erste Retrospektive: Vom Zynismus der Kunst

Auf dem ersten Blick steht da im ersten Raum des Kunstverein Hannover ein „lebensechter“ Marktstand, an dem Lebensmittel zum Kauf angeboten werden. Schnell aber wird klar, dass das ganze Ensemble aus Stein, genauer: aus dem Schutt sozialistischer Architekturen, gebaut ist. Die Lebensmittel hier also sind schwer verdaulich, man beißt sich tatsächlich die Zähne an ihnen aus, verkaufbar „per Kilo“ aber sind sie. Mit der Installation „Market“, 2007 - 2019, die auf diversen internationalen Kunstmessen ebenso ausgestellt war, wie auf der Venedig Biennale 2019, hat Zhana Kadyrova den real-existierenden Kunstbetrieb in gewisser Weise treffend charakterisiert: Die vermeintlich „schönen Künste“ sind nicht nützlich und lebensnotwendig, können dafür aber umso besser in kommerzielle Systeme eingespeist werden. 

Mit der im nächsten Raum zu sehenden Arbeit „Second Hand“, 2017, dann verschärft die Künstlerin ihre Kritik an der Fragwürdigkeit von Schönheit: Eine Mannequin-Figur trägt ein fesches Kleid, gefertigt aus weißen, blauen und schwarzen Fliesen. Diese Fliesen stammen aus einer Bushaltestelle aus dem ukrainischen Ort Poliske, das nach dem Unfall am Atomkraftwerk Tschernobyl wegen zu hoher Strahlenbelastung evakuiert werden musste. Ein Foto der Bushaltestelle neben der Mannequin-Figur dann stellt diesen Zusammenhang her, der durch die Kombination von fescher Mode und atomarer Strahlung selbstverständlich ein überaus zynischer ist.  

Der Ukraine-Krieg schließlich lässt Zhana Kadyrova die Frage nach der Qualität von Schönheit und Kunst endgültig in so zweifelnder wie verzweifelter Weise stellen: Kann Kunst die Gräuel des Krieges „darstellen“? Kann sie warnen? Kann sie gar helfen? Im langen Saal des Kunstverein Hannover versuchen zum Beispiel die fünf Skulpturen der „Harmless War“-Serie, 2022 – 2023, Antworten auf Fragen wie diese zu finden. In Kriegsgebieten gefundene durchschossene Metallteile, wie zum Beispiel Autodächer, wurden von der Künstlerin weiß lackiert, flach gepresst und zu geometrischen Formen wie Kegel, Würfel und Pyramide umgeformt. Das Resultat sind durch Zerstörung kontaminierte Minimal Skulpturen, die dennoch gleichzeitig eine „harmlose“ (= harmless), ja zynische Schönheit besitzen. Die hier vorgeführte „Konservierung der physischen Gewalt“ (Kadyrova) vermag der grausamen Realität also kaum als Spiegel zu dienen, findet aber vielleicht genau deswegen schnell seinen Platz im Ausstellungsbetrieb.

In der von Christoph Platz-Gallus, dem neuen Direktor des Kunstverein Hannover, umsichtig kuratierten Ausstellung gelingt es aber zumindest einer Arbeit helfend tätig zu sein, dem Projekt „Palianytasia“, seit 2022, nämlich. Nachdem Zhana Kadyrova aus Kiew fliehen musste, lebte die Künstlerin zunächst in der westlichen Ukraine. Dort sammelte sie Findlinge, die sie dann aufschnitt und so polierte, dass sie schließlich wie Brot aussahen. Diese Kunstbrote werden, ähnlich wie schon bei “Market“, aus dem jeweiligen Ausstellungskontext heraus, in dem sie gezeigt werden, verkauft. Die Einnahmen gehen dann direkt an ukrainische Hilfsorganisationen. Wenn man will: täglich Brot statt Krieg!

Mehr Texte von Raimar Stange

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Zhanna Kadyrova - Daily Bread. Eine erste Retrospektive
28.01 - 09.04.2023

Kunstverein Hannover
30159 Hannover, Sophienstraße 2
Tel: +49 511 32 45 94, Fax: +49 511 363 22 47
Email: mail@kunstverein-hannover.de
http://www.kunstverein-hannover.de
Öffnungszeiten: Di-Sa 12-19, So, feiertags 11-19 h


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