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Brief aus Bahrain

Die Wahrnehmung zeitgenössischer Kunst aus einer vornehmlich westlich zentrierten Perspektive wirft stets Fragen nach Validität, kunsthistorischer Verortung und Aktualität der einzelnen Werke auf. Spätestens die documenta 15 versuchte die Grundsätze dieser Betrachtung systematisch zu überwinden, um eine neue Sicht auf unterschiedliche nicht-westliche Geopolitiken und deren künstlerischen Praktiken zu ermöglichen.

Der Inselstaat Bahrain mit seinen 800.000 Bahraini und 1.000.000 ausländischen Bewohner*innen fügt sich am Persischen Golf zwischen Katar und Saudi-Arabien in jene andere Kategorie der Betrachtung ein, die auch den Lebensumständen in diesem islamischen Königreich mit seinen sonnendurchflutenden Gegenden und blassen Häuserfassaden geschuldet ist. Bahrain wurde aufgrund seiner Süßwasservorkommen in der Geschichte als Paradies angesehen (siehe auch das Gilgamesch Epos) und brachte bereits 2.500 v.Chr. die Dilmun Zivilisation hervor, die das Land zu einem Umschlagplatz und einer Route für den Handel zwischen Mesopotamien und dem Industal machte. Heute ist Bahrain hauptsächlich für den jährlich stattfindenden Grand Prix bekannt, jedoch weniger für künstlerische Belange.

Ohne Kunsthochschule und Kunstmuseum bestehen in Bahrain nur wenige Gelegenheiten einer Annäherung an aktuelle Kunst. Deshalb gilt es, Möglichkeiten der Betrachtung aus einer ortspezifischen Perspektive heraus zu denken. Wer museumsähnliche Strukturen sucht, dem sei die RAK Art Foundation am Rande der Hauptstadt Manama empfohlen, die die private Sammlung sowie eigene Werke von Scheich Rashid Al Khalifa beherbergt. Neben einem kleinen Anteil an kanonisierten Namen wie Damien Hirst, Yves Klein oder Frank Stella sind hier vorwiegend Arbeiten von Künstler*innen der Region zu finden. Gegen Voranmeldung findet sich hier reichlich junges Publikum ein, dem eine analoge Kunstbetrachtung ansonsten eher verwehrt bleibt. Al Khalifa war es ein Anliegen, die Bewohner*innen Bahrains an zeitgenössische Kunst heranzuführen. So widmete er jenes Bauwerk aus den 1920er Jahren, in dem er selbst aufwuchs, der Öffentlichkeit als künstlerische Reflexionsstätte. Der aus mehreren Gebäuden, die sich in lokaler Tradition um einen Hof gruppieren, bestehende Komplex wurde stets erneuert und zuletzt 2020 um einen großen White Cube erweitert. Al Khalifa zeigt hier seine Skulpturen mit monochrom-minimalistischen Strukturelementen in Anlehnung an die Neo Geo Tradition. Rauminstallationen und Environments hingegen sind nur auf seinem privaten Anwesen zu finden, wo der Künstler und Kunstmäzen in einem eigenen Gebäude neue räumliche Konstellationen für künftige Ausstellungen erprobt.

Der Tradition kultureller Einrichtungen folgt auch das Shaikh Ebrahim Center in Muharraq, einst Hauptstadt von Bahrain. Angelegt wie ein eigenes Stadtviertel vermischen sich hier traditionelle mit zeitgenössischen Architektur- und Designelementen. Das Center besteht seit 2002 und widmet sich dem Austausch zwischen Literatur, Philosophie und Kunst mit zahlreichen Veranstaltungen und internationalen Vortragenden. Das Nationalmuseum sowie die Bahrain Festung plus Museum erschließen Geschichte und Archäologie des Landes, der Faktor zeitgenössische Kunst bedarf jedoch weiterhin einer kritischen Reflexion und Sichtbarkeit, ob innerhalb oder außerhalb eines (einst) westlich hegemonialen Kunstdenkens.

Mehr Texte von Walter Seidl

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