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Menschheitsdämmerung. Malerei der Zwischenkriegszeit 1918–38 und Reflexe der Gegenwart: Dämmerung, doppelt diskursiv

Eigentlich ist die Idee nicht nur naheliegend, sondern auch von Anfang an formuliert. „Die bildende Kunst dieser Jahre zeigt dieselben Motive und Symptome, zeigt das gleiche Zersprengen der alten Formen und das Durchlaufen aller formalen Möglichkeiten bis zur Konsequenz völliger Auflösung der Realität, zeigt den gleichen Einbruch und Ausbruch des Menschlichen und den gleichen Glauben an die lösende, bindende Macht des menschlichen Geistes, der Idee“, führt es Kurt Pinthus 1919 im Vorwort der von ihm herausgegebenen Anthologie expressionistischer Lyrik mit dem Titel „Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung“ aus. Insgesamt umfasste die Publikation 198 Gedichte von 22 Schriftstellern und Else Lasker-Schüler, ein Generationenbuch des 20. Jahrhunderts nachgerade, womöglich sogar das erste. Dass nur eine Frau in der Auswahl zu finden ist, dürfte ebenso der Zeit geschuldet sein, wie die Tatsache, dass beim Erscheinen einige der Kollegen mittlerweile im 1. Weltkrieg gefallen waren. Als das Wiener Leopold Museum im Jahr 2021 Ausstellung „Menscheitsdämmerung. Zwischen lyrischer Empfindsamkeit und sachlicher Weltauffassung“ zeigte, handelte es sich gleichsam um die Verbildlichung der Anthologie in elf durchwegs männlichen Positionen, hauptsächlich aus den Beständen der hauseigenen/familieneigenen Sammlungen. Herbert Boeckl, Hans Böhler, Josef Dobrowsky, Albin Egger-Lienz, Anton Faistauer, Gerhard Frankl, Anton Kolig, Sergius Pauser, Rudolf Wacker, Alfons Walde und Alfred Wickenburg waren damals dabei.  Soweit, so nachvollziehbar, all das in Zeiten, die von Unsicherheiten geprägt waren.

Nun drohen zwar keine pandemiebedingten Museumsschließungen mehr, doch sind die Zeiten auch nicht wirklich besser geworden. „Eine Sammlung von Erschütterungen und Leidenschaften, Sammlung von Sehnsucht, Glück, Qual einer Epoche“, sollte es nach der Vorstellung des Herausgebers Pinthus seinerzeit sein, durchaus hat dies auch heute seine Gültigkeit. Warum also nicht, den Versuch starten derlei in die Gegenwart zu transformieren und dabei eine Korrektur in der Konstellation der Geschlechter vorzunehmen.

Was nun etwas konstruiert klingt, funktioniert im Ausstellungskontext erstaunlich gut. Einmal mehr ist der Direktorin des MMKK, Christine Wetzinger-Grundnig der Spagat gelungen, mit den Beständen der Sammlung zu arbeiten und durch didaktisch wohlüberlegten Präsentationen, neue Aspekte heraus zu arbeiten. Die aus Wien angereiste Altherrenriege wurde durch eine Kärntner Altherrenriege samt einer weiblichen Wiederentdeckung in Person von Elisabeth Guttenberg-Sterneck (1903-1960) erweitert und einer Reihe von gegenwärtigen Kolleginnen gegenübergestellt. Unter ihnen Maria Lassnig, Kiki Kogelnig, Suse Krawagna, Ines Doujak, Helga Druml oder Gudrun Kampl.

Da rücken Maria Lassnig mit „Die große Mutter“ (1964) oder Kiki Kogelnik mit „Lady with triangle“ (1974) ein althergebrachtes Frauenbild zurecht und interpretieren es neu. Gudrun Kampl nimmt dem weiß/rosa Stofftier (Sie mit dem Blümchen, 2000) durch den unbefangenen Blick auf die Scham die Unschuld, Zorka L.-Weiss setzt mit ihren gestapelten farbig braun/grünen Latten einsamen Bäumen in Landschaften etwas entgegen. Ute Aschbacher wie auch Suse Krawagna vermögen es mit wenigen Pinselstrichen die Leichtigkeit eines Sommers zu evozieren.

Als besonderer Coup allerdings darf gelten, dass ein Teil der Ausstellung in dem nach 8-jähriger Schließung, eben neu eröffneten Kärntner Landesmuseum, nun kärnten.museum stattfindet. Es sind dort jene Themen und Motive ausgestellt, die tief mit dem Land – nicht nur Kärnten – und den Menschen verwurzelt scheinen: Werner Berg, Albin Egger-Lienz, Alfons Walde und Anton Koligs „Kuhhändlerin in Tracht“ oder „Gailtalerin“. Jene aufwändige lediglich knielange Tracht mit den zahlreichen plissierten Unterröcken führt am Tanzboden ein bewegtes Eigenleben, das mit Ines Doujaks in Untersicht gegebenen Blicken auf aufgebauschte Röcke und Frauenunterleiber einen humorvollen Kommentar erfährt. Ob es sich bei der Dämmerung nun um den Sonnenaufgang oder -untergang handelt, scheint in diesem Zusammenhang einerlei, stellt man doch hier mit kunsthistorischen Rückblicken und gegenwärtigen Ausblicken vortrefflich unter Beweis, dass es auch hier einen ewigen Kreislauf mit zeitbedingten Anpassungen gibt.

Mehr Texte von Daniela Gregori

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Menschheitsdämmerung. Malerei der Zwischenkriegszeit 1918–38 und Reflexe der Gegenwart
21.11.2022 - 19.02.2023

MMKK Museum Moderner Kunst Kärnten
9020 Klagenfurt, Burggasse 8/Domgasse
Tel: +43 50 536 30 507
Email: office.museum@ktn.gv.at
http://www.mmkk.at/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr

kärnten.museum
9021 Klagenfurt, Museumgasse 2
Tel: +43 5 0536 30 552, Fax: +43 5 0536 30540
Email: willkommen@kaernten.museum
https://landesmuseum.ktn.gv.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


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