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Guilty, Guilty, Guilty!: She’s a killer queen?

Gewalt gegen Frauen, Gewalt von Frauen und Frauen vor Gericht – in diesem Bermudadreieck etwa bewegt sich die von Sonja Lau klug konzipierte Ausstellung „Guilty, Guilty Guilty! Entwürfe zu einer feministischen Kriminologie“.  Dabei werden in den präsentierten Videos, Installationen, Drucken, Aktionen und Collagen der 17 Künstler:innen Kategorien wie Opfer und Täter sowie (gesellschaftspolitische) Vorstellungen von Schuld und Sühne immer wieder kritisch hinterfragt.

Als „Klassiker“ in diesem Kontext gilt längst schon das Video “Outtake“, 1998, von Dennis Adams: Der US-amerikanische Künstler hat eine Schlüsselszene aus dem Film “Bambule“, 1969, von Ulrike Meinhof, dem späteren Mitglied der Roten Armee Fraktion, in 416 Einzelbilder zerlegt und diese dann ausgedruckt. Diese Sequenz der Einzelbilder hat er dann, wie auf dem Video zu sehen ist, quasi als Flugblätter auf der Straße an Passanten verteilt. Das auf den Flugblättern zu sehende „outtake“ aus dem Film, der die repressiven Methoden von Heimen für junge Frauen kritisiert, zeigt wie ein Mädchen durch eine „Besserungsanstalt“ gejagt wird – Gewalt gegen junge Frauen wird in Dennis Adams’ Video angeprangert von einer Frau, die wenig später zu einer militanten Kämpferin wird.

Eine weitere Form von Widerstand thematisiert Rüzgar Buski in den drei großformatigen Holzdrucken „Ne seninim, ne de kara topragin“, 2022. Die Arbeit porträtiert drei Frauen, die sich in der Türkei gegen männliche Gewalt gewehrt hatten - eine enthauptete ihren Vergewaltiger - und deswegen vor Gericht verurteilt wurden. Solch rabiate Selbstjustiz ist einerseits selbstverständlich nicht (als feministische Strategie) zu akzeptieren, andererseits aber gibt zu denken, dass sie den betroffenen Frauen hier als letzter Ausweg erschien. So gaben diese drei Fälle der feministischen Bewegung in der Türkei dann auch wichtige Impulse. 

Gerechtigkeit als Glücksspiel – diese provokante These stellt Ipeg Duben mit ihrer Rauminstallation „LoveGame“, 1998 – 2001, auf. In dem „romantisch“ verdunkelten Raum ist der Song „I wanna know what love is“ zu hören, auf dem Boden ist ein grüner Teppich ausgelegt und an einer Wand leuchtet in roten Farben „LoveGame“. In der Mitte dieses Settings steht dann ein Roulettetisch, dessen Zahlen ausgetauscht wurden mit Porträts von Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Gespielt wird in dieser Installation also offensichtlich nicht um Geld oder Liebe, vielmehr handelt es sich hier um ein Casino, in dem vor allem die Würde und das Leben von Frauen auf dem Spiel steht. 

Immer wieder fasst Sonja Lau in ihrer Ausstellung politisch „heiße Eisen“ an: Gerade jetzt wo „Antisemitismus im Kunstfeld“ im Anschluss an die letzte Documenta nicht enden wollend diskutiert wird, wagt sie, die Arbeit „Qwdesha – „A prostitute when young, and a witch when old“, 2022, von Galit Eilat zu zeigen. Diese Wandarbeit erinnert an den „weißen Sklavenhandel“, der sich im 19. Jahrhundert weltweit in der “Neuen Welt“ verbreitete und nicht zuletzt aus von skrupellosen Kartellen organisierter Prostitution bestand. Eines dieser Kartelle war die jüdische Zwi-Migdal-Mafia, deren „Arbeit“ in Südamerika Galit Eilat in seiner Text-Bild-Collage dokumentiert. 

So provokant diese Ausstellung über weite Strecken ist, so komplex ist sie im selben Moment. Das Spektrum der aufgeworfenen Fragen reicht nämlich von Erziehung und gesellschaftlicher Konvention über (organisierte) Kriminalität und Rechtsprechung bis hin zu feministischem Widerstand und Selbstermächtigung. Und das ist gut so. 


 

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PS: Dass diese engagierte Ausstellung in anderen Medien nahezu totgeschwiegen wird (nicht einmal die Berliner Tageszeitungen berichteten bis jetzt) - ein Zufall?

Mehr Texte von Raimar Stange

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Guilty, Guilty, Guilty!
11.11.2022 - 19.02.2023

Kunstraum Kreuzberg
10997 Berlin, Mariannenplatz 2
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