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Die Medici und die FIFA

Zur politischen Ikonografie der WM

Sepp Blatter, ehemaliger Präsident der FIFA, ließ kürzlich mit der Bemerkung aufhören, die Ernennung von Katar als Austragungsort der Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft sei ein Fehler gewesen. Ein Foto zeigt ihn aus besseren Tagen, beim Handschlag mit Sheik Mohammed bin Hamad al-Than aus Katar im Jahr 2013. Der Scheich trug das leichte Baumwollkleid in Weiß, die Dischdascha, dazu ein Kopftuch mit schwarzem Band, Blatter einen dunklen Anzug und eine Glatze. Die Begegnung war zwanglos und freundlich. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Gerüchte über Stimmenkäufe aus dem arabischen Land, um die Entscheidung zu beeinflussen. Was damals noch nicht öffentlich war, ist, dass Katar einige FIFA-Funktionäre zu diesem Zweck ausspionieren ließ.

Seit jeher fördern Sportereignisse die politische Selbstdarstellung und die Neigung zu Intrigen. Auch die ersten Zeugnisse von Fussballspielen in Europa belegen diesen Zusammenhang. Die Medici setzten Fußballspiele zur Festigung ihrer Regentschaft ein. Nachdem sich das Spiel als republikanische Rivalität zwischen verschiedenen Stadtvierteln während des 15. Jahrhunderts entwickelte, wurde es durch die Bankiersfamilie zum Ausdruck einer „politischen Ikonografie" (Horst Bredekamp) erhoben. Der Sport avancierte im Stadtstaat zum Schauzeremoniell. Der »Calcio Fiorentino« wurde sogar während der Belagerung der Stadt durch die kaiserlichen Truppen abgehalten.

In den 20er Jahren des 20. Jahrhundert interpretierte Elias Canetti die Zusammenhänge von Spiel, Masse und Macht in ihrer politischen Dimension: Fußball erschien ihm als dynamisierende Kraft, als Übungsfeld von Aufstand und politischer Bewegung. Canetti hörte die euphorisierten Gruppen der Rapid-Anhänger auf der anderen Seite des Wientals. Er vernahm das Raunen, die aufbrausenden Wellen der Erregung und den Aufschrei nach einem Tor. Sehen konnte er nichts, doch wurde ihm klar, dass es „Fest-” und „Hetzmassen”, ja sogar konkurrierende „Doppelmassen“ gibt. Die Stimmen der Einzelnen annullieren sich in der erregten Parteinahme. Die in der Masse errungene Einigkeit des Kollektivs machte die gefühlte gesellschaftliche Ohnmacht vergessen.

Fußballspiele sind mittlerweile Schaustücke von weltweiter Ausstrahlung. Durch neue Übertragungstechniken und Digitalisierung sind globale Einschaltquoten und Stimmungsmache die entscheidenden Faktoren für den Erfolg. Unverhohlen folgt die FIFA den Maximen der Medici. Sie veräußert die Rechte zur Teilhabe und die Lizenz für politische Inszenierungen. Mit der arabischen Halbinsel wird im Winter 2022 ein neuer Markt hinzugewonnen. Zugleich sind Regeln der Compliance in Gefahr. Denn die Endrunde in Katar steht nicht nur wegen des Korruptionsverdachts (wie schon zuletzt jene in Russland), sondern auch wegen Demokratiedefizits, Missachtung von Arbeitsrechten und einer verheerenden Klimabilanz in Verruf. Zudem werden die Mannschaften erstmals in den Winterwochen, als Unterbrechung der üblichen Saison, gegeneinander antreten. Die Italiener, die Nachfahren des Calcio, sind nicht zugegen. Der viermalige Welt- und aktuelle Europameister Italien scheiterte in den Qualifikationsrunden an der Schweiz, dem Herkunftsland von Sepp Blatter und dem aktuellen Präsidenten Gianni Infantino, zugleich Hauptsitz der FIFA.

Auch der Jemen ist nicht qualifiziert. Von dort stammt die Königin Saba. Sie ist an der Pforte des Baptisteriums in Florenz dargestellt, bei einer Begegnung Hand in Hand mit König Salomo. Tatsächlich war der Süden der arabischen Halbinsel im 10. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung äußerst wohlhabend und wirtschaftlich aufstrebend. Heute gehört die Region zu den ärmsten der Welt. Für die Blütezeit ist die Konkurrenz zu den israelitischen Stämmen belegt, ebenso, dass es zu dieser Zeit Königinnen im Königreich Saba gab, obwohl die legendäre Königin, die auf englisch Queen of Sheba heißt, nicht historisch nachgewiesen werden kann. Ghibertis Bronzetafeln entstanden im frühen 15. Jahrhundert, also zu einer Zeit, als die ersten Fußballspiele auf den Plätzen vor den Florentiner Kirchen ausgetragen wurden. Der Bildhauer zirkelte die beiden Figuren exakt in die Mitte seiner perspektivischen Darstellung. Er konstruiert einen ähnlichen geometrischen Fond wie das Foto, das die Vereinbarung über die WM-Entscheidung in Doha besiegelt. Bei Ghiberti stellen sich König und Königin versöhnt dar, sogar in inniger Zuneigung. Doch eigentlich hatte die Königin von Saba Salomo ausspionieren lassen. Sie wollte die Schwächen der Herrschaft Salomos ausfindig machen, erlag am Ende aber doch der Macht des israelitischen Königs.

Lorenzo Ghibertis Darstellung ist auch deswegen interessant, weil er die Menschen, die sich vor dem Tempel in Jerusalem versammeln, in getrennten Gruppen organisiert. Damit entsprechen seine Bronzefiguren der Charakterisierung Canettis von den gedoppelten Massen. Manche zeigen sich würdevoll und getragen, besonders jene auf der Terrasse, – die “Festmassen” – darunter finden sich Gruppen in Zwietracht und Diskussion, – die “Hetzmassen”. Die aufgebrachte Menge und die Differenzen zu befrieden, das ist auch der Zweck der Begegnung des Herrscherpaares.

Doch eigentlich ist jedes Spiel ohne Zweck. Daran erinnern der Kunsthistoriker Horst Bredekamp und der Sportphilosoph Gunter Gebauer in einem jüngst publizierten Gespräch.[1] Spielen kann nur, wer sich freiwillig Regeln unterwirft und dabei keinen äußerlichen Zweck verfolgt. Damit gleicht das Spiel der ästhetischen Urteilskraft, es vollzieht sich als Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Schon König Salomo dachte ähnlich. In einem seiner Sinnsprüche verglich er die Schöpfung mit einem Spiel. Sein Argument: Wäre die Schöpfung kein Spiel, würde sie einer Zweck-Mittel-Relation unterliegen. Gott wäre nicht länger allmächtig. Dass sich Begegnungen wie ein Spiel und damit öffentlich inszenieren lassen, das belegt sein Zusammentreffen mit der Königin und die vielen diplomatischen Bemühungen in den Hinterzimmern, die dafür nötig waren.

[1] Horst Bredekamp, Gunter Gebauer: Die Wirklichkeit findet statt! Über notwendige Präsenz in Kunst und Sport, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 2021, S. 38.

Abbildungen: IMAGO / Xinhua
DOHA, Nov. 9, 2013 (Xinhua) -- FIFA President Sepp Blatter (R) shakes hands with Sheikh Mohammed Bin Hamad Al Thani, Managing Director Qatar 2022 Supreme Committee during a Media Briefing in Doha, Qatar on Nov. 9, 2013. (Xinhua/Chen Shaojin)

Lorenzo Ghiberti: Baptisterium in Florenz, Bronze vergoldet, Original: Museo del Duomo, 1426-1452 Foto: Richardfabi © CC BY-SA 3.0

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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