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Peter Hoiss RGB: Mary Poppins Tasche

Drei Lüftungsschächte, aus dem windigen Draußen in die Ruhe eines Ausstellungsraums versetzt, locken mit handgepäckskoffergroßen Öffnungen, aus denen eine Mischung aus verheißungsvollem Schimmer und geheimnisvoller Dunkelheit dringt, näherzutreten. Sie sind lebensgroße Imitationen aus bunt eingefärbten Holzplatten (genauer: Valchromat; die Farbe ist hier nicht oberflächlich aufgetragen, sondern durch Färbung der Fasern vor dem Verkleben tiefgehender.) und wachsen an ihren Plätzen aus dem Boden, verschwinden wieder in der Wand, machen Biegungen durch, eine interessante Mischung aus frei entfalteter Form und ortsspezifischer Verpflichtung. Rot, Grün, Blau und hohl stehen sie da auf eine Bühne geholt und warten.

Es ist immer nur Platz für ein einzelnes Augenpaar vor den Guckkästen. Sie öffnen den Raum unverhofft wie ein Blick durch den Türspion in die Weite. Es braucht ein bisschen, bis man auf den Trick mit den Spiegeln kommt, dann fühlt man sich im Innern einer Spiegelreflexkamera. Auf der einen Seite man selbst, auf der anderen das Bild, dazwischen Zentimeter, Meter, Kilometer, gestauchter Weg durch einen Schacht, etwas Nebel, und Spiegel. Es ist der Nebel, der die Sachen wirklich erscheinen lässt und der Blick in die Ferne.

Was man sieht, in dieser parallelen, weiten Welt im Kasten des Versorgungsschachts: eine Fassade mit Balkon, darauf zwei Sonnenschirme. Mit Aufkommen und Abflachen des Winds heben, öffnen und senken, legen sie sich. Ein zweites Video zeigt eine sonnige Weide, ein Quarzwerk in Österreich, was aus dem Bild allein nicht zu erkennen ist. Im dritten steht eine Gruppe Handymasten vor dem Himmel, oben auf einem Berg. Keine Menschen.  

Noch ein zweites Mal passiert eine Rekalibrierung der Dimension. In einem offenem Seitenraum, klein wie eine Besenkammer und mit schwarzem Stoff verkleidet, ist man mit einer strahlenden Wand bunter Glühbirnen konfrontiert, in Spalten und Reihen geordnet, nicht unangenehm hell, immer abwechselnd Rot – Grün, Blau – Grün. Grün leuchtet doppelt so oft von der Wand wegen der Sehgewohnheiten von uns Menschen, die wir Grün viel besser differenzieren können und vor langer Zeit wohl auch mal viel Grün gesehen haben (und es deshalb besser differenzieren können). Ist das die Vergrößerung einer Sensorplatte, oder die Pixel des Fernsehers? Am Ende zwei Seiten der gleichen Medaille. Und wir, stehen fast zwischen ihnen, jedenfalls sehr nah dran.

Die Objekte verführen und entführen, wecken Neugier und spielen Verstecken, zeigen sich gerade genug um das Interesse zu halten und binden durch die Intimität der immer persönlichen, ungeteilten Beziehung. Eine der drei Arbeiten zwingt sogar dazu, sich in sie hineinzusetzen, wörtlich, es ist ein einzelner Sitz aus der Form ausgeschnitten, Kino für Eins. Die Körperlichkeit des Sehens, wie sie im Motiv der Sendemasten und im Nachbau der Bildentstehung durch Spiegel und Lichtpunkte schon anklingt wird hier am deutlichsten formuliert.

Auch das Motiv der Schwelle ist durchgängig präsent und immer in ihrer Doppelfunktion als verbindendes und trennendes Element. Drei Scheiben des Ausstellungsraums sind mit Farbfolie beklebt und färben das einfallende Licht Rot, Grün, Blau. Die Leuchtwand ist nach hinten hin zum Treppenhaus offen, die Glasziegel sind für das Licht durchlässig, für das Licht und nur für das Licht. Die Funkmasten empfangen und senden, per Kabel, dann kabellos. Die Türspione öffnen Räume. Und natürlich über allem: das Motiv des Schachts, des Schlauchs, der Räume, Häuser, urbane Systeme durchzieht, Innen und Außen verkehrt, das Hier mit dem Dort verbindet.

Eine Serie daneben ausgestellter Fotografien greift diese Motive teilweise auf, zeigt das Bild von Versorgungsschächten eines New Yorker Gebäudedachs, den Strand zwischen Atlantik und Brooklyn mit Wolken zwischen Erde und Himmel, die Mauer einer Hochwasserverbauung. Sie entwickeln nicht die Kraft der Objekte im Raum, weder teilen sie deren Sog, noch die Fähigkeit, als Scharnier zwischen Orten und Dimensionen zu dienen. Aber das ist nicht weiter schlimm. „RGB“ heißt die Ausstellung, kuratiert von Nina Holm, mit Arbeiten von Peter Hoiss.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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Peter Hoiss RGB
03.11 - 11.12.2022

Kunstraum München
80469 München, Holzstraße 10, Rgb.
Tel: +49 89 54 37 99 00, Fax: +49 89 54 37 99 02
Email: info@kunstraum-muenchen.de
http://www.kunstraum-muenchen.de
Öffnungszeiten: Mi-So 14-19 h


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