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Der Thesenanschlag

Die Kunst der Moderne und Avantgarde sah ihre Aufgabe darin, Konventionen des Geschmacks aufzubrechen. Damit waren vielfach nicht nur ästhetische Vorstellungen gemeint, sondern auch moralische Bewertungen. So wollten etwa die Brücke-Maler die Abgründe der Großstadt darstellen. Als Gegengewicht begaben sie sich in die Auen um Dresden, um dort Natur in Ursprünglichkeit und Nacktheit zu genießen. Man könnte deshalb in ihnen die Vorläufer der heutigen Work-Life-Balance sehen. Van Gogh gilt als radikaler Künstler, der in der Natur keinen Rückzugsort, sondern ein Geschehen begriff, eine innere Aufwühlung, die er im Äußerlichen wahrnahm. Deshalb finden sich kräftige, irrlichternde Farben und dissonante Kontraste in seinen Werken. Monet schließlich verfolgte die Zustände des Lichts während verschiedener Tages- und Jahreszeiten. Seine Heuhaufen-Bilder sind gerade durch die Gewöhnlichkeit des Gesehenen aufregend, durch die Farbstimmungen, die sich in den Bündeln und temporären Bauten zeigen. Es sind die Stimmungen einer Natur, die artifiziell werden, die faszinieren.

Nun haben junge Klimaaktivist*innen einige Werke, unter anderem von Monet, van Gogh, Goya und Vermeer, die in namhaften Museen ausgestellt sind, attackiert. Sie wurden mit Küchenzutaten beschüttet und verkleistert. Dies ist fraglos ein Akt der Gewalt und mutwilligen Herabwürdigung, ja des aggressiven Bildersturms. Anders als beispielsweise bei Statuen, die in der Geschichte fragwürdige Personen oder politische Vertreter*innen von zweifelhaftem Ruf zeigen, handelt es sich bei den Anschlägen auf die Bilder von Van Gogh, Goya und Monet um Kunstwerke von Künstlern, die keine historische Schuld auf sich geladen haben. Im Gegenteil, zum Ziel wurden Meisterwerke, die zum kulturellen Erbe gehören und vor jeder Beschädigung und Missbrauch unbedingt bewahrt werden sollten.

Es steht außer Frage, dass dieser Vandalismus verurteilt werden muss. Er speist sich aus einem aggressiven Protest, der sich auf der Jagd nach Aufmerksamkeit in einem Stellvertreterkrieg Luft verschafft. Man meint, gegen Bilder oder jene, die sie ausstellen und bewundern, vorgehen zu müssen, weil sie zu viel Macht angehäuft hätten. Wer diese Machtstrukturen angreifen will, muss auch ihre Zeichen angreifen. So klar diese Schlussfolgerung erscheint, so muss doch beachtet werden, dass sich die Akteur:innen mit dieser Haltung nicht nur in ein gesetzwidriges, sondern auch in ein fragwürdiges Milieu manövrieren. Denn der Ikonoklasmus, also die Bilderfeindlichkeit, die sie verfolgen, zeigt sich bei näherer Betrachtung als eine Form der Bildergläubigkeit. Denn würden Bilderstürmer nicht an die Überzeugung von Bildern glauben, so müssten sie ihnen nicht misstrauen. Wären Bilder in ihrer Wirkung belanglos, wäre es nicht der Mühe wert, sie zu attackieren.

Wer nach historischen Vorläufern dieser Proteste sucht, der wird womöglich daran erinnert sein, dass diese Attacken gewisse Ähnlichkeit mit der protestantischen Bilderfeindlichkeit haben. Fragen des Glaubens wirken zweifellos in die Wahrnehmung von Kunstwerken. Daran erinnerte der Kulturhistoriker Wolfgang Ullrich schon vor einigen Jahren. Beiden Bewegungen, dem Protestantismus und dem Klimaaktivismus, geht es nämlich darum, ein neues Bewusstsein einzufordern. Die Bilder, die die Protestanten Anfang des 16. Jahrhunderts aus den Kirchen entfernen ließen, waren für sie Zeugnisse eines irregeleiteten Glaubens. Sie waren Sinnbilder für den Machtzuwachs und den Reichtum, den sich die katholische Kirche durch den Ablass erwirtschaftete. Zudem machten die Heiligen auf den Altartafeln glauben, es könnte Zwischeninstanzen zwischen Gott und den Menschen geben. Sie vermitteln zwischen den Anliegen auf Erden und der Ewigkeit. Doch in Wahrheit zählen nicht Darstellungen auf den Altären, sondern der Glaube des Einzelnen, die guten Taten im Jetzt und die Bedeutung der überlieferten Schrift. Deshalb übersetzten Luther und Zwingli die Bibel und setzten sich für die Aufkündigung jenes Handels ein, in dem Gott ein Geschäftspartner geworden war. Das Seelenheil sollte fortan nicht erkauft werden können.

Wie nun Luther antworten die jungen Aktivist:innen auf die Überzeugungskraft der Bilder mit einem radikalen Reinheitsgebot. Sie tragen Botschaften auf T-Shirts, die sich wie Kurzformeln des historischen Thesenanschlags lesen. Nur der Text ist vertrauenswürdig, und die Selbstverantwortung, die innere, nicht die allgemein zertifizierte Überzeugung. Indes gelten Bilder als Blendwerk. Während der Protestantismus aber die Werke der Kunst aus den Kirchen bringen ließ, belassen die Aktivist:innen die Gemälde in den Museen, sie gehen aber ähnlich davon aus, dass Bilder Zeichen einer dekadenten Geschäftemacherei und eines willkürlichen Götzendienstes sind. Allerdings ist auffällig, dass beide trotz der giftigen Kritik nicht auf die Wirkung von Bildern verzichten wollen. Denn die Aktivist:innen ersetzen die ehrwürdigen und bekannten Bilder nur durch neue, billige und reproduktionsfähige. Unzählige Handy-Bilder und Pressenachrichten zirkulieren von den Attacken. Sie fließen vom Tatort in den Museen direkt in die digitalen Kanäle. Damit gehen sie ähnlich wie Luther vor, der eng mit Cranach zusammenarbeitete und die neuesten Medien seiner Zeit für die Verbreitung seiner Ideen nutzte.

Tatsächlich sind die Proteste der Aktivist:innen aber auch ernst zu nehmen. Einzelne Gemälde erzielen im Kunsthandel und auf Auktionen erstaunliche Werte. Sie sind deshalb nicht nur Werke der Kunst, sondern auch Werte der globalen Geldwirtschaft. Der Kapitalismus der Gegenwart dürfte heute ähnlich verbindlich sein wie der Katechismus der katholischen Welt vor 500 Jahren. Daher lässt sich behaupten, dass es nur folgerichtig wäre, die Gültigkeit dieser Übereinkünfte durch irritierende Handlungen infrage zu stellen. Handeln sei gefragt, so lautet das Credo, und zwar unverzüglich. Darum ähneln die Gesten der Aktivist:innen auch Luthers berühmten Wort von “ich stehe hier und kann nicht anders”. Nur so, meinen sie, ließe sich auf die Missstände der Klimakrise aufmerksam machen. Museen reagieren dementsprechend gereizt. Sie sehen die Gefahr einer Zerstörung des kulturellen Erbes, sie prangern den Marketing-Effekt dieser Aktionen an, vor allem zweifeln sie die Verbindung an, die hier ihrer Meinung nach willkürlich zwischen den Anliegen hergestellt wird. “Gewalt gegen Kunst ist kein Klimaschutz”, sagt etwa die Direktorin des Museum Barberini.

Doch die Aktivist:innen sehen zwischen diesen Themen durchaus eine Verbindung. Sie sind von der Vorstellung getrieben, dass sie ihr Anliegen nur vermitteln können, wenn sie die Bilder als Symptome einer ignoranten Gesellschaft brandmarken. Die Bilder sind ihrer Meinung nach Zeichen einer dekadenten Verehrung von Werten, die angesichts der Bedrohung des Planeten zweitrangig geworden ist. Wie Nietzsche sehen sie eine Verderblichkeit der Historie für das Leben, zumal dieses mehr denn je gefährdet ist. Im Grund geht es also um eine Hierarchie der Werte, der Kunst oder des Klimas. Beide gelten ihren jeweiligen Beschützer*innen als sakrosankt.

So erscheinen Kunst und Klima so polar wie ehemals Kunst und Geld. Und doch gibt es Überschneidungen und innere Beziehungen. Interessant ist zum Beispiel, dass sich die Kunstfeindlichkeit, die durch die Attacken zum Ausdruck kommt, auf Praktiken stützt, die der Kunstgeschichte abgeschaut sind. Bewusst oder nicht, es scheint, als würde die Kunst mit ihren eigenen Mitteln bekämpft. Denn ein Bild mit Farbe zu bespritzen, ist zunächst nichts anderes als ein kreativer Akt. Lange Zeit wurde eine solche Geste als künstlerischer Befreiungsschlag gefeiert. Der Abstrakte Expressionismus gilt als jene Kunstrichtung, die durch bloßes Spritzen und Sprühen auf Leinwände auf sich aufmerksam machte. Die Abstrakten Expressionist:innen setzten die Ideen von van Gogh und Monet fort, indem sie sich mehr und mehr von der gegenständlichen Abbildung befreiten und schließlich allein ihrer Motivation, Bewegung und Befindlichkeit folgten, die sie direkt auf das Bild übertrugen. Dass manche dieser Bilder nicht nur spontan, sondern auch aggressiv und wütend waren, also fast wie Anschläge auf eine unbescholtene Leinwand wirkten, tat dem künstlerischen Wert keinen Abbruch, es verbürgte sogar die Glaubwürdigkeit dieses Tuns.

Nun handeln die Aktivist:innen augenscheinlich gegen die Würde der Kunst. Während Künstler:innen ihr Werk nach der Fertigstellung der Betrachtung freigeben, können sich dies Aktivist:innen offenkundig nicht erlauben. Buchstäblich verhärten und verfestigen sie ihre Position. Indem sie sich an die Wände kleben, zeigen sie, dass es Gewalt benötigt, um sie von dem Schauplatz zu entfernen.

Überraschenderweise wechseln sie dadurch ihre Rollen. Sie wenden sich von der Position der Betrachter:innen ab und der Öffentlichkeit zu. Dadurch machen sie sich zu Agenten, ja Sekundanten der Gemälde. Dieser Akt der Bürge ist auch aus der Kunstgeschichte geläufig. Ähnliche Figuren, die das Bild für die jeweilige Gegenwart beglaubigen, sind für die Malerei der Spätgotik und Renaissance typisch, also für Bilder aus jener Zeit, die während der Glaubenskriege gemalt wurden. An den Außenseiten der Flügelaltäre und den Peripherien der Gemäldetafeln fand sich die Möglichkeit, die Stifter:innen und Auftraggeber:innen darzustellen. Damit konnten diese nicht nur ihren Glaubenseifer, sondern auch ihre Finanzkraft und ihr gesellschaftliches Ansehen zur Schau stellen. Freilich platzieren sich gegenwärtige Aktivist:innen außerhalb der Bilder, aber dennoch setzen sie sich darunter, sie versperren weder die Sicht, noch beabsichtigen sie, die Bilder von den Wänden zu nehmen.

In unmittelbarer Nähe zu den Gemälden erscheinen sie als zum Standbild erstarrte Träger:innen. Figuren, die die Bilder auf ihre Schultern hieven, so wie Atlas, der mythische Titan, der das Himmelsgewölbe trägt. Dieser ikonographische Verweis ist bedeutsam, weil die Figur des Atlas als erste die Vorstellung als Globus verdeutlicht, jene Sicht, die die Gefährdung der Erde als Ganzes und das Bewusstsein von einer Krise des Anthropozäns erst ermöglichte.

Dass die Aktivist:innen durchaus im Bewusstsein der Kunstgeschichte vorgehen, ist schon daran zu ermessen, dass der Anschlag in der Londoner National Gallery auf ein Sonnenblumenbild von Vincent Van Gogh mit einer Tomatensuppe der Marke »Heinz« erfolgte. Nicht nur ist Tomatenrot eine intensive Farbe, die Van Gogh gerne verwendete, sondern Dosen der gleichen Marke malte Andy Warhol in Serien auf seine serigrafischen Bilder. Warhol reagierte mit der Darstellung eines Konsumproduktes übrigens auf die Kunst der Abstrakten Expressionist:innen. Er warf ihnen vor, dass ihr authentisches Malen unglaubwürdig geworden wäre. Es sei zwar möglich, dass Spritzen und Träufeln den Malvorgang belebt, aber nicht, wenn solche Bilder reihenweise entstehen und ähnlich wie Waren reproduziert werden. Spritzer sind dann nicht mehr als hohle Gesten, verlogene Irreführungen eines vermeintlich authentisch agierenden Subjekts.

Ähnliches ließe sich über die Proteste sagen. Attacken fanden nicht nur in London und Potsdam statt, auch im Haager Mauritshuis, im Prado und an anderen Orten. Es ist interessant zu beobachten, dass den Aktivist:innen die Absperrungen zugute kommen, die die Werke schützen. Sie dienen ähnlich wie im Theater als Trennbereich der sogenannten vierten Wand. Sie markieren jene durchsichtige Zone, die den Bühnenraum, den Raum der Fiktion, von den Zuschauerreihen, den Raum der Realität, abtrennt. Dadurch dass die Aktivist:innen zuerst diese Grenze überschreiten und sich danach hinter diese Begrenzung verschanzen, können sie im Zweifelsfall behaupten, – und das wird wohl ihre Verteidigungsstrategie vor Gericht werden – , es wäre eine künstlerische Aktion gewesen, ein Werk der Kunst also, das an sich nach demokratischer Rechtsauffassung frei ist.

Doch eigentlich sehen sie sich nicht als Künstler:innen. Ihre Agenda ist ausdrücklich politisch. Es ist sogar charakteristisch, dass sie eine scharfe Grenze zwischen Ethik und Ästhetik ziehen. Im Gegensatz zur Moderne und auch der Renaissance gestehen sie der Kunst keine moralische Überzeugungskraft oder politische Wirkung zu. Interessanterweise drücken sie dies dadurch aus, dass sie sich selbst als Opfer darstellen. Indem sie sich an den Museumswänden festkleben, zeigen sie sich gefesselt und erniedrigt wie Gefangene. Nachdem die Aktivist:innen die Bilder beschädigt haben, geben sie vor, von diesen in Schubhaft genommen zu sein. Hier zeigt sich neuerlich der uneingestandene Glaube an die Wirkkraft der Kunst. Denn wäre ein Bild nicht wirksam, könnte es Menschen nicht fesseln. Statt metaphorisch nehmen die Aktivist:innen die Überzeugung der Kunst allerdings wörtlich. Sie nehmen die Bilder als Akteure im politischen Feld wahr. Nichtsdestoweniger wird ein Bild kaum als Täter angesehen werden können, sicherlich nicht vor Gericht.

Wie aber dann auf die Klimakrise reagieren? Wahrscheinlich ist es angesichts bestehender Probleme nicht genug, sich in die wenigen intakten Auen zurückzuziehen wie die jungen Maler der Dresdner “Brücke”. Vielleicht braucht es wirklich einen blasphemischen Akt als Weckruf, um auf den Klimaschutz und die Anliegen der kommenden Generationen aufmerksam zu machen. Die Frage ist, ob Kunstwerke das richtige Ziel sind. Gibt es nicht angemessene, aufrichtigere Bühnen? Auch solche, die mehr Mut erfordern, als eine Glasscheibe zu bespritzen? Sind Dosensuppen und Kartoffelpüree nicht Kinderkram? Und hintergeht der demonstrative Bildersturm nicht seine eigenen Absichten, wenn er über die Kanäle von Social Media inflationär verbreitet wird?

Dass sich dieser Akt abgesehen von der Vehemenz und Kontextlosigkeit zwiespältiger darstellt, als auf den ersten Blick erscheint, hätte aber schon die Selbstbezeichnung der Gruppe deutlich machen können, die in die National Gallery in London eindrang. Die Gruppe nennt sich »Extinction Rebellion«. Durch diese Wortverbindung wird eigentlich nicht deutlich, ob ihre Mitglieder gegen die Auslöschung rebellieren oder nicht doch für eine solche eintreten. Beides ist sprachlich möglich. Mit Sicherheit würden ihre Vertreter:innen einwenden, dass dies nicht missverständlich sei, denn sie setzen sich gegen die Vernichtung der Erde ein, und für die Infragestellung der Kunst. Wer sie allerdings als Künstler:innen einstuft, worauf sie uneingestanden anspielen, könnte auch geneigt sein, sie als aktive Erb:innen derer zu begreifen, die sie ohne Scham verunglimpfen. Dann allerdings wären ihre Thesenanschläge mimetisches Spiel und strafrechtlich irrelevant.

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Abbildung © Just Stop Oil

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Mag.
Sturm | 09.12.2022 07:11 | antworten
Ob da den Aktionen der Aktivist*innen nicht zuviel theoretischer Überbau zugeschrieben wird? Sie agieren als Betroffene mit größtmöglicher Öffentlichkeitswirkung in einem aufgeladenen Simulationsraum. That's it.

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