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The Tide is High. Reisen als Herausforderung: Grand Tour

30 Jahre Stipendienprogramm der Hessischen Kulturstiftung.

Reisen ist keine Selbstverständlichkeit, das hat die nähere Vergangenheit gelehrt. Geopolitische Veränderungen und Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit haben neue Hürden errichtet, eine Alltäglichkeit in etwas Besonderes zurückverwandelt. Das betrifft den Tourismus nicht weniger als Geschäftsreisen oder Forschungsreisen. Hinzu treten Fragen der Ökologie und der kulturellen Rücksichtnahme, deren Berücksichtigung keine Laune ist.

Vor diesem Hintergrund feiert die Hessische Kulturstiftung das dreißigjährige Bestehen ihres Programms für Reisestipendien, ehedem initiiert von Jean-Christophe Ammann. Die Geschäftsführerin der Stiftung, Eva Claudia Scholtz, erinnerte anlässlich der Jubiläumsausstellung im Kunsthaus Wiesbaden an die Umstände der Implementierung des Programms. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 trat die Globalisierung in eine neue Phase und das Aufkommen des kommerziellen Internets beschleunigten den Digital Turn, beendeten das kurze 20. Jahrhundert. Um so wichtiger: die konkrete, reale Begegnung von Bildenden Künstler:innen mit der Vielfalt der Welt.

Es ist ein Programm, das ohne oft übliche Altersbeschränkungen der Stipendiat:innen auskommt: Keine Selbstverständlichkeit. Ein Bezug der Bewerber:innen zum Bundesland Hessen ist verbindlich, aber eine überregional besetzte, wechselnde Jury öffnet bei der Auswahl den Blick. So profitierten Künstler:innen wie Anne Imhof, Tobias Rehberger, Nasan Tur und Haegue Yang von den Atelierstipendien in London, Paris, New York und Istanbul, aber auch von freien Destinationen, wie bei Max Brück nach Polen.

Die Jubiläumsausstellung im Kunsthaus Wiesbaden beleuchtet hierbei die Werke der aktuellen Empfänger:innen der Stipendien, auf den Spuren der Grand Tour und Johann Wolfgang von Goethes. Kuratiert von Sylvia Metz, unterstützt von Co-Kuratorin Christin Müller, versammelt die Schau 15 Positionen mit 16 Künstler:innen. Sie lieferten auch Beispiele für heutige Hürden des Reisens, denn bellu&bellu konnten nicht den Spuren jüdischer Kulturen nach Russland folgen und Antonia Hirsch gelangte erst dank Unterstützung des Goethe Instituts nach Japan. Die Welt – und mitunter die Herzen – sind enger geworden.

Sylvia Metz beschwört mit dem Titel ihrer Schau nicht nur ein örtliches und zeitliches Fernweh in die Karibik und die frühen 1980er Jahre, des einstigen Hits von Blondie. Der Subtext bildet das ursprüngliche Lied der jamaikanischen Band The Paragons von 1967, mehrfach gecovert, das auf die Problematik der Adaption von Artefakten fremder Kulturen verweist.

Yong Xiang Li macht dieses Thema in der Ausstellung explizit, bezüglich der Aneignung sogenannt fernöstlicher Motive in europäisch geprägten Kulturen mit dem Sujet des Bambus in einem medialen Zwielicht zwischen Kunst und Design. Für die innereuropäische Redefinition von Geschichte im Kontext der Bindung an Unrechte geschlechtlicher Benachteiligung steht wiederum ein Video von Nina Kuttler, das der englischen Paläontologin Mary Anning gewidmet ist. Patrick Alan Banfield kann als Gegenpart verstanden werden, der Aspekte spezifisch cis-männlicher Sicht auf die Welt und den Körper der Frau in einer Virtual Reality Simulation adressiert. Einen interkulturellen Blick eröffnet Haleh Redjaian, die eine Beziehung stiftet, zwischen den textilen Produktionsweisen für Teppiche im Iran und im Senegal. Jonas Brinker weitet die Fragestellung auf die Dimension der Interspezies-Relation, untersucht – so weit als möglich „embedded“ – die Sicht der Tiere im anthropologisch konditionierten Raum. Im Video „Interval“ folgt er einem Wildhund durch Bauruinen im Sinai.

Weitere Ausstellungen, u. a. in Bensheim und Offenbach werden in 2023 dem Wiesbadener Auftakt zum Jubiläum folgen, hoffentlich auch hier mit der Stringenz, unter Verzicht auf plakative Illustration, die in Wiesbaden, mit einem vielfältigen Feld, eingelöst werden konnte. Ein Veranstaltungsprogramm mit Überlegungen zur Lebenswirklichkeit von Künstler:innen begleitet die Ausstellungen: was geschieht mit Wohnung, Kind und Tier, den vielen Verpflichtungen in Zeiten der Reise?

Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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The Tide is High. Reisen als Herausforderung
03.12.2022 - 12.02.2023

Kunsthaus Wiesbaden
65183 Wiesbaden, Schulberg 10
Tel: +49 611 319002
http://www.wiesbaden.de/kunsthaus
Öffnungszeiten: Di - So 11-17h, Do 11-19h


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