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Matisse in the 1930s: Position und Irrtum

"No contract, no Matisse", skandieren streikende Angestellte wenige Tage vor Eröffnung der Ausstellung "Matisse in the 1930s", mit der das Philadelphia Museum of Art zum ersten Mal seit der Pandemie wieder einen international wirksamen Publikumsmagneten im Programm hat.

Sasha Sudas Einstand ist daher alles andere als leicht. Der erste Arbeitstag der neuen Direktorin im September war zugleich der erste Streiktag. Sie muss nicht nur die Eröffnung einer Großausstellung unter widrigen Umständen sicherstellen, sondern auch zwischen streitenden Parteien vermitteln. "Mitarbeiter sind das Fundament einer Institution", erklärt sie vor Journalisten und spricht damit eine Wahrheit aus, die dem Board bisher nicht geläufig gewesen zu sein scheint. Suda verweist darauf, dass sie an ihren vorherigen Wirkungsstätten bereits mit gewerkschaftlich organisierten Belegschaften erfolgreich gearbeitet hat. Was anscheinend auch hier gelingt. Am Freitagnachmittag wurde bekannt, dass es zu seiner Einigung gekommen sei, die nach Gewerkschaftsangaben alle ihre Forderungen erfüllt. Gerade noch rechtzeitig, bevor am Samstag die mehrtägigen Eröffnungsfestivitäten für VIPs und Spender beginnen. "Solche Dinge verändern uns, und ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden werden“, erklärte sie noch kurz vorher. „Für mich ist entscheidend, wo wir in zehn Jahren stehen."

Zumindest hängt die aktuelle Ausstellung jetzt. Externe Kräfte und das verbliebene Personal bis hin zum Management haben es geschafft, die Werke ohne sichtbare Ausfälle an die Wand und in die Vitrinen zu bringen. Im Internet und den sozialen Medien kursieren allerdings Geschichten und Bilder von haarsträubenden Zuständen während des Aufbaus. Hier werden möglicherweise Restauratoren und Versicherungen das letzte Wort haben.

Doch wie positioniert man eine Matisse-Ausstellung, nachdem mit der großen Retrospektive im Pariser Centre Pompidou 2020 alles gesagt zu sein schien? Matisse in den 1930ern scheint auf den ersten Blick ein etwas willkürlicher Schwerpunkt zu sein. Tatsächlich markiert das Jahr 1930 jedoch einen Wendepunkt im Schaffen von Henri Matisse, der zu der Zeit in einer Schaffenskrise steckte und mit dem Auftrag zu dem Wandgemälde The Dance nach Philadelphia kam. Es sollte drei Jahre dauern, bis eines seiner monumentalen Hauptwerke den großen Saal der Barnes Foundation schmückte. Diese Arbeit ist verständlicherweise nicht im Museum zu sehen, sondern in der fußläufig zehn Minuten entfernten Stiftung.

Der langwierige Entstehungsprozess hingegen mit dem Suchen nach der richtigen Form ist auch in seinen Irrtümern eines der zentralen Themen der Ausstellung. Eine Vorzeichnung in Originalgröße ist zu sehen, ebenso wie zahlreiche Skizzen und Entwürfe. Der Weg hin zu einer Schlüsseltechnik des Spätwerks wird nachvollziehbar: die Arbeit mit Papierschablonen, mit denen sich Figuren und Farbflächen vor dem Malen gegeneinander verschieben lassen. Die Dokumentation des Arbeitsprozesses ist der Schau ein Anliegen. Neben zahlreichen Zeichnungen und Fotografien unterschiedlicher Zustände einzelner Gemälde während ihrer Entstehung ist auch das Kleid ausgestellt, das Lydia Delectorskaya für ihr eigenes Portrait „Woman in Blue“ genäht hat.

Die zeitliche Eingrenzung des Ausstellungstitel haben die Kuratoren undogmnatisch gehandhabt. Schließlich wären die späteren Akte ohne die Odalisken der 20er-Jahre kaum zu verstehen. Einschließlich der Werke aus der Zeit vor und nach den 30ern kommt die Ausstellung auf beeindruckende 140 Werke, ist also fast so umfangreich wie die Pariser Überblicksschau, geht durch ihren Fokus jedoch mehr ins Detail. Philadelphia ist die einzige Station in den USA, 2023 geht sie nach Paris und Nizza.

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Abbildung:
Henri Matisse
The Conversation, 1938
(San Francisco Museum of Modern Art: Bequest of Mr. James D. Zellerbach, 93.149)
© Bildrecht, Wien 2022

Mehr Texte von Stefan Kobel

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Matisse in the 1930s
20.10.2022 - 29.01.2023

Philadelphia Museum of Art
PA 19130 Philadelphia, 2600 Benjamin Franklin Parkway, Philadelphia, PA 19130
https://philamuseum.org/
Öffnungszeiten: Mo, Do 10-17, Fr 10-20:45, Sa, So 10-17 h


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