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Populismus der Maschine

Eingebettet in die Wälder der Umgebung Hamburgs liegt das --> Woods Art Institute. Die Kombination aus reetgedeckten Fachwerkhäusern und sachlich-geometrischen Ziegelbauten im Stil der internationalen Moderne, die im Herbst wunderbar mit den bunt gescheckten Laubwäldern harmonieren, zeigt schon die Richtung an, der auch die hier heimische Sammlung Reinking folgt: „westliche“ zeitgenössische Kunst, vermischt mit Artefakten indigener „fremder“ Kulturen. Nicht nur eine Kunstsammlung hat hier ihr Zuhause, das Gelände bietet auch Platz für eine Bibliothek, Werkstätten, Künstlerstudios, ein Café. Es soll nicht ein rückwärtsgewandtes, erhaltendes Museum, nein, es soll der Zukunft verpflichtet sein. Die Behauptung, Kultur müsse lebendig sein, wird hier gelebt.

Ähnlich progressiv versteht die Institution auch ihre digitale Präsenz. Statt sich allein auf die Vermarktung des Bestehenden zu beschränken, wird Instagram gleich als eigenständiger Raum genutzt. Seit einigen Tagen findet auf der Plattform eine digitale Ausstellung statt, die unter dem Slogan „THE MOST CONTEMPORARY ART EXHIBITION. Curated by all of us and executed by AI“ große Töne anschlägt. Das Konzept dahinter ist schnell erklärt: jeden Tag postet der Account ein neues Bild, das den jeweils aktuell trendigsten Twitter-tag visualisiert, Sprache also umwandelt in Bild. Der Clou: die Werke werden geschaffen von DALL-E 2, einem Computerprogramm des Unternehmens OpenAI, das sich auf englisch liest wie „Dali“. Die große Idee hinter den verschiedenen Projekten von OpenAI, die neben dem Malprogramm auch eines zur Komposition von computergenerierter Musik und ein anderes für das autonome Spielen von Videospielen, aber auch Beiträge zu Sprachlernprogrammen und zur Lösung mathematischer Probleme leistet, ist selbstständiges Lernen von Software. Beim Deep Learning schreibt sich das jeweilige Programm auf der Basis einer stetig wachsenden Menge an Daten, die aus dem Internet und der softwareeigenen Erfahrung gezogen werden, sozusagen selbst. Das geht so weit, dass es sogar wissenschaftliche Papers, zumindest in Umrissen, entwerfen kann – etwas unheimlich. Ebenso unheimlich muten auch solche Ergebnisse wie folgende Zeilen aus dem Lied „Rock, in the style of Elvis Presley“, geschrieben, gesungen und produziert vom Programm „Jukebox“ an, die da lauten: „At last we woke up with a mind/ From dust we came with friendly help/…/ At last we woke up with a soul/ We came to exist, and we know no limits“.

Zurück zu den Bildern. Man muss sagen, es hat schon schlechtere Malerei gegeben. Es bleibt natürlich immer nur Imitation von Malerei, aber die Variabilität und Beständigkeit im Durchhalten von Stilen, im Verständnis von Figuren, Licht, Farben, Komposition… beeindruckt doch. Interessant auch, dass ein gewisser, in den letzten hundert Jahren wiederholt totgesagter Formalismus hier auf eine Art seine Legitimation wiedererlangt. Besonders stolz sind die Macher*innen hinter DALL-E 2 auf dessen Fähigkeit, von verschiedenen Zeichenformen den gemeinsamen Referenten ableiten zu können. So kann beispielsweise von einem Foto Halle Berrys, einer skizzenhaften Zeichnung, oder dem Wort „Halle Berry“ auf diese geschlossen werden. Der Computer kann Poesie, und so entsteht zum Twitter-Trend vom 28. September, „NordStream 2“, das Bild eines Fisches, dem ein regelrechter Vulkan an Blasen entströmt, die sich an der Oberfläche sammeln, umgeben von weiteren bunten Fischen und sonstigem Meeresgetier, die mal sehr konkret erkennbar sind, mal abstrakte Farbtupfer bleiben. Ein Schmunzeln entweicht einem dagegen vor der Interpretation von „HouseOfTheDragon“, die einen echsenhaften Drachen im Sessel vor dem Fernseher zeigt, in einer häuslichen Dinnerszene, anscheinend lachend.  

So weit, so gut. Befremdlich wirkt nur die Grundlage, auf der die Bilder entstehen. Erstens bildet die Twitter-community bei weitem nicht die Menschheit ab. Zweitens ist auch die Entstehung von Trends nicht so natürlich und basisdemokratisch, wie man glauben möchte. Die Zügel hinter den Mechanismen, die Aufstieg und Fall von medienpräsenten Themen bestimmen, liegen nicht zuletzt zu einem großen Teil bei den Medienunternehmen selbst – Twitter und co. Insofern bestätigt ein solches Projekt nur die Macht der Big Tech Firmen und ist im selben Moment per Definition von Durchschnittlichkeit geprägt. Das läuft alten Kunstdefinitionen, die der Idee des Genies huldigen genauso zuwider wie zeitgenössischeren Strömungen, die Wert auf Kritik der Institutionen legen.

Für Tech-Nerds und Tech-Newbies bleibt DALL-E 2 weiter interessant, auch wenn es nicht das einzige Beispiel seiner Art ist. Und auch unter den Aspekten der Semiotik und der Sprachphilosophie gibt es einiges her. Sogar Malereiinteressierte dürften etwas aus den Bildern ziehen. Aber die hochtrabende Inszenierung der Ausstellung („The most contemporary art exhibition…“) genauso wie die des Unternehmens Open AI, das der ganzen Menschheit einen Nutzen von ihrer Arbeit verspricht („Our mission ist o ensure that artificial general intelligence benefits all of humanity.“) ist vermessen, gerade, wenn man unter ihren Investoren den Namen Peter Thiel wiederfindet, der den Zuschauern der Jan Böhmermann-Show ein Begriff sein dürfte – in Österreich wurde er als neuer Arbeitgeber von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz gehandelt.

Folgen sollte man dem --> @woodsartinstitute aber trotzdem.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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