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Anna Boghiguian: Trotz allem: Heilung

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Intensität und Lautstärke bei einer Pressekonferenz des Kunsthaus Bregenz eine Dame, weit über siebzig, ihre Standpunkte erklärt. Diese ägyptische Frau mit armenischen Wurzeln und beträchtlich nomadischem Reisestil rund um den Erdball namens Anna Boghiguian mit ihren hellwachen und klugen Augen ist eine beeindruckende Künstlerin, deren klarer Kunstwille zu den interessantesten Positionen zählt, die der internationale Kunstzirkus zur Zeit zu bieten hat.

Das Hauptwerk der Ausstellung in Bregenz ist ein Schachbrett mit fast lebensgroßen Schachfiguren Das verspiegelte, quadratische Schachbrettmuster wiederholt sich in den quadratischen Deckenquadraten des Zumthor-Baus. Das Arsenal der Schachfiguren könnte gut in die österreichische Bundeshauptstadt passen, besteht es doch zu einem Großteil aus Persönlichkeiten Wiens um 1900. Da sind Sigmund Freud, Egon Schiele, Ludwig Wittgenstein vertreten, aber genauso gekrönte Häupter wie Maria Theresia, ihre Tochter Marie-Antoinette oder der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand. Eine Schlüsselfigur in Anna Boghiguians Gruselkabinett ist der SS-Arzt Aribert Heim „bekannt als Dr. Tod und Schlächter von Mauthausen“, der nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seinem eigene Tod 1992 unbehelligt in Kairo leben konnte. Es scheint ein zentraler Impetus der künstlerischen Arbeit Anna Boghiguian zu sein, das Unrecht anzuprangern, dass Menschen wie Aribert Heim nicht für ihre Schuld zur Rechenschaft gezogen wurden. In ihrer gepressten Redeweise sagte die Künstlerin bei der Pressekonferenz: „Er musste für seine Sünden nicht bezahlen.“ Das Schachbrett war übrigens in einer Vorform anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des Kunsthaus Bregenz im Frühjahr bereits in Venedig zu sehen.

Das Leben - ein Schachspiel eines zynischen Dämons? Diese logische Metapher ist auch implizit eine künstlerische Verdichtung der Frage nach dem Leid in der Welt, wenn doch Gott als ein barmherziger gedacht wird. Hier wird deutlich, dass die Logik des Denkens in metaphysischen Fragen an ihr Ende kommt. Niemand will auf eine Rolle fixiert werden, nicht auf die eines bösen Königs oder eines brutalen Turms und schon gar nicht auf die eines Bauern im Spiel. Nicht ohne Grund hat in diesen Tagen Thomas Schmid seine Aufdeckungen damit begründet, im politischen Intrigantenstadel „kein Bauernopfer“ sein zu wollen.

Die Künstlerin begreift die Geschichte jedenfalls als eine Abfolge von grausamem Blutvergießen. Im zweiten Stock ist wie in einer Galerie eine Sammlung von Zeichnungen Anna Boghiguians zu sehen, die zum Teil in Bregenz entstanden sind. Sie zeigen in Blutrot, wenig Blau die Geschichte als eine Abfolge von todbringenden Revolutionen wie der französischen von 1789 und knechtenden Erfahrungen wie die Versklavung ganzer Völker. Das maritime Blau mit zwei Schwimmern, es handelt sich um Putin und Peter den Großen, von denen Putin ein Kettchen mit Kreuz trägt wird ironisiert von einem Geldschein der rechts unten im Bild klebt. Ist alles käuflich?


Im obersten Stockwerk erfasst den Besucher eine schockierende Immersion: Rote Lichtkegel streifen über den Boden wie die Suchlampen von den Türmen der Konzentrationslagern, eine mitleidlose Stimme schildert das unbegreifliche Leid, das Adolf Hitler über die Welt brachte. Eine Guillotine hängt von der Decke. Nicht nur Marie-Antoinette, sondern unzählige Menschen wurden so hingerichtet. Deswegen auch die aufgefädelten Köpfe die im Erdgeschoss wie zwei makabre Mobile von der Decke baumeln. Dazu hängt im Erdgeschoss ein großes Segel von der Wand das marschierende Heere von Soldaten oder Sklaven zeigt.

Anna Boghiguian (geb. 1946) hat ihre expressionistisch-gegenständlichen Bilder seit den frühen 2010er Jahren zu raumfüllenden, bühnenhaften Installationen anwachsen lassen. 2012 hat sie auf der documenta (13) gigantische Bücher in Pop-up Format präsentiert. 2015 wurde sie auf der Biennale Venedig mit einem Beitrag im nationalen Pavillon der Republik Armenien mit dem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag ausgezeichnet. Zuletzt widmete ihr 2022 das Museum für Gegenwartskunst in Siegen die erste Personale im deutschsprachigen Raum. Mit der Ausstellung in Bregenz setzt sie einen weiteren Meilenstein in ihrer Kunst, die ihr zu Folge wie alle gute Kunst in der Begegnung mit den eigenen und fremden Schmerzen eine heilende Kraft haben sollte. Dies entspricht der Renaissance der Kunstauffassung von Joseph Beuys wie sie international zu beobachten ist. Die Kunst sollte spirituell sein, ja eine heilige Wirkung haben, genau wie der Gang in einen Tempel.

Mehr Texte von Wolfgang Ölz

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Anna Boghiguian
22.10.2022 - 22.01.2023

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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