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Monica Bonvicini. I do You: In Ketten

Wo man hingeht, man nimmt sich immer mit. Insofern ist man immer Gefangener seiner selbst.

Ein riesiges Plateau mit verspiegelter Front, drei Meter hoch und sechsunddreißig Meter breit, ist von Monica Bonvicini in die von Mies van der Rohe als modernistische Stahl- und Glas-Konstruktion entworfene Ausstellungshalle der Neuen Nationalgalerie in Berlin gesetzt. Prallt der Blick hier an der makellosen Opazität der Spiegelfläche noch ab, ist es ihm auf der Rückseite erlaubt in den Unterbau der Plattform einzudringen. Eine Säulenhalle aus Stahlgerüsten wird sichtbar.

Über einen Treppenaufgang, dessen jede Stufe nur von Stahlseilen gehalten wird, geht es nach oben, auf eine Bühne, auf der man genauso ausgestellt ist, wie es die Besuchenden unten für einen selbst sind. Wer auch immer im Zwinger, und wer im Graben sitzt – es sind alle Teil des Exponats. Vor dem Ersteigen der Plattform aber muss man an einer Zeile von der Decke hängender Ketten vorbei, an deren Enden Handschellen befestigt sind. Wer sich traut, kann sich hier für mindestens dreißig Minuten an das Haus binden. Man sieht sich unvermittelt vor die Wahl gestellt, sich entweder körperlich fesseln, oder sich von seinen Ängsten unterwerfen zu lassen. Eine Wahl der Qual, und die Zuschreibung von Aktivität und Passivität sind seltsam vertauscht.

Damit ist es der Momente körperlicher Selbsterfahrung nicht genug. Beim Liegen in den zwei schweren, weil aus Stahlketten geknüpften Hängematten kippt der Blick Richtung Decke, und man ist wieder allein mit sich selbst. Das seichte Schaukeln und das dumpfe Klingeln aufeinandertreffenden Metalls wiegen einen wie die Wellen im Meer in Schwerelosigkeit.

Das schummrige Licht, das aus den Konsolen heraussickert, ist um ein Bündel aus Neonröhren erweitert, die gleißendes Licht ausstrahlen, das einen anzieht wie die Nachtfalter, die sich hin und wieder in die Ausstellung verirren. Man erkennt sich in ihrem sehnsuchtsgeleiteten Flattern wieder und kann nicht anders, als hinzusehen.

Mit zwei Arbeiten im Außenbereich wird der Rahmen des architektonischen Glaswürfels gesprengt. Eine Soundinstallation rezitiert im Umgang das ganze Oeuvre der Künstlerin, in schleppender Monotonie. Dem Eingang zum Haus ist eine monumentale, an das Dach gelehnte und über dieses hinausragende Platte vorgebaut, auf dem in übergroßen Lettern „i do YOU“ zu lesen ist. Dieses „You“ ist immer mit dabei, sei es als Spiegelbild, dem nicht zu entkommen ist, oder als Körper, der sich aus dem Griff der Stahlketten zu befreien sucht, oder als Teil des Gebäudes, zu dem man mit dem Eintritt in die Ausstellung wird. Es scheint ein Widerspruch, doch die Gewalt, in die einen die Ausstellung nimmt, wirkt befreiend. Es muss das Bewusstsein für das Bewusstsein der Freiheit – oder Unfreiheit – von Körper und Geist sein, das sich einstellt.

Mehr Texte von Victor Cos Ortega

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Monica Bonvicini. I do You
25.11.2022 - 07.05.2023

Neue Nationalgalerie
10785 Berlin, Potsdamer Straße 50
Tel: +49 30 266 424242
https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/neue-nationalgalerie/home/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


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