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Von Pflanzen, Steinen und Gewässern lernen: Gegenerzählungen von Erdbewohner:innen inmitten multipler Krisen: Die Identität der Natur

SOHO in Ottakring, früher ein biennal abgehaltenes Kunstfestival im 16. Wiener Gemeindebezirk, ist seit dem Jahr 2020 im Sandleitenhof, einer kommunalen Wohnhausanlage aus der Zwischenkriegszeit als sogenanntes Ankerzentrum für dezentrale Kulturarbeit sesshaft geworden. Vor einem Jahr wurden in eigens adaptierten Räumlichkeiten die SOHO Studios eröffnet, die auf mehr als 1.500 Quadratmetern Ausstellungsflächen, Ateliers und Workshopräume bieten. Der Gemeindebau mit seinen 5.000 Bewohner:innen aus mehr als 100 Nationen bietet den passenden Rahmen für die aktuelle Ausstellung, in der vier peruanische Künstler:innen alternative Wissensressourcen erkunden.

In der Kritik steht, wie so oft, die kapitalistische Leistungsgesellschaft mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Natur und Menschheit. „In der Technik beherrschen sie uns, wer weiß wie lange noch, aber in der Kunst können wir sie bereits zwingen, von uns zu lernen, und zwar ohne uns von hier zu entfernen“, meinte der peruanische Enthnologe und Schriftsteller José María Arguedas in Bezug auf das Verhältnis von indigener Kultur und der westlichen. Eliana Otta hat das Gedicht „Ruf an die Doktoren aus fernen Ländern“ des Fürsprechers der indigenen Sprache Quechua zum Ausgangspunkt ihrer großen Rauminstallation genommen. Der von der Künstlerin auf Kissenbezüge gestickte Text geht hart ins Gericht mit der Überheblichkeit westlicher Wissenschaft gegenüber indigenem Wissen und spricht jedoch gleichzeitig eine Einladung zum Austausch und gegenseitigem Verständnis aus.

Die Achtsamkeit der Natur gegenüber, den bewahrenden Umgang mit dem „was uns am Leben erhält“ mahnt auch Imayna Caceres in ihren Arbeiten ein. Ihre als „Opfergabe“ inszenierte Installation basiert auf der Idee der Möglichkeit, sich über Rituale wieder mit der Natur bzw. dem Kosmos zu verbinden. Die Künstlerin, die auch in Kollektiven politisch-aktivistisch arbeitet, geht dabei von alternativen Wissensformen aus, die sie auch in ihren Zeichnungen thematisiert.

Die Frage, wie weit Sichtweisen und kulturelle Lösungen kleiner indigener Gemeinschaften in unsere, westliche Lebenswelt übersetzbar sind, stellt sich bei Alfredo Ledesma. Das animistische Weltbild, das Naturelementen, einem Berg oder einem Fluss eine eigenständige Identität zuschreibt, findet immerhin in jüngster Zeit eine gewisse Anerkennung. So hat Ecuador der Natur im August 2022 eine eigene Rechtspersönlichkeit zugestanden. In Artikel 71 der Verfassung heißt es: "Die Natur oder Pachamama, in der sich das Leben verwirklicht und realisiert, hat das Recht, in ihrer gesamten Existenz respektiert zu werden." Alle Menschen können in Ecuador im Namen der Natur vor Gericht ziehen und deren Recht geltend machen.

Einen „ghost in the machine“ beschwört Hansel Sato in seiner Serie „Indulgence Trade“ (Ablasshandel). Er verwendet für seine Prints einen Bildgenerator der über eine Künstliche Intelligenz absolut real wirkende Porträts von Menschen generiert. Allerdings produziert die Software immer wieder Glitches und neben den Gesichtern tauchen Geisterbilder auf, mit verzerrten menschlichen Gesichtszügen wie Dämonen. Die nach dem Vorbild barocker Malerei und Heiligenbilder in Szene gesetzten Porträts kombiniert Sato mit gängigen Sprüchen der westlichen Hochleistungs- und Selbstoptimierungsgesellschaft deren Alltagspraktiken und Konsumgewohnheiten weitgehend von der unbegrenzten Ausbeutung von Ressourcen abhängen.

Die Ausstellung wird von einem Programm mit Meditation, Performance und Führungen begleitet.

Mehr Texte von Werner Remm

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Von Pflanzen, Steinen und Gewässern lernen: Gegenerzählungen von Erdbewohner:innen inmitten multipler Krisen
05 - 23.10.2022

Soho Studios
1160 Wien, Sandleitenhof, Liebknechtgasse 32
Email: info@sohostudios.at
https://sohostudios.at/


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Mag.art
Hansel Sato | 05.10.2022 10:08 | antworten
Danke für die pointierte Kommentare!

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