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Der Mucha – Ein Anfangsverdacht: Der Anti-Kiefer

Lange war Reinhard Mucha ein Fall für die „Was macht eigentlich…?“-Rubrik. Vielleicht zu lang. Interessant zu erfahren wäre, wer diesseits der Fünfzig überhaupt schon mal von Mucha gehört hat, dem die Kunstsammlung NRW gleich in beiden Spielstätten, K20 und K21, eine große Retrospektive eingerichtet hat: „Der Mucha – Ein Anfangsverdacht.“ Denn Ende der 1990er-Jahre, nach seinem grandiosen Auftritt auf Catherine Davids gleichfalls grandioser documenta X dünnt die Spur des Düsseldorfer Bildhauers (Jg. 1950) zumindest im institutionellen Ausstellungsbetrieb zusehends aus. Daran mag Mucha selbst nicht unschuldig sein. So sehr er in seinem Werk eine vehemente Form der Selbstkanonisierung betrieben hat, so wählerisch war er mit Ausstellungseinladungen. Eine Art „Walden“ unter den Düsseldorfer Bildhauern seiner Generation, war es ihm lange Zeit wohl lieber, in seinem Atelier an der Kölner Straße vor sich hinzuwerkeln – und regelmäßig immerhin die prominenten Kunstmessen zu beliefern – als, gefühlt, an jeder Bushaltestelle auszustellen wie sein Kollege Thomas Schütte. Mit dem teilt Mucha nicht nur den Sinn für die eigene künstlerische Bedeutung, sondern auch den sehr (west-)deutschen Sinn für Humor.

Das andere Problem: Deutsche Museen haben seit der Jahrtausendwende offenbar immer weniger Lust, Hausaufgaben zu machen und fundierte Kanonisierungsarbeit zu leisten. Fehlanzeige, was die Sammlung und Aufarbeitung der jüngeren deutschen Kunstgeschichte etwa anhand exemplarischer Personalen betrifft. Dabei könnte man etwa an Muchas immer weiter verfeinertem Werk gut die Transformation einer Objekt-fokussierten Bildhauerei ins Installative und Prozessuale studieren, das die Kunst in den 1990er-Jahren insgesamt erfasste und sie seither ins Bühnen- und Ereignishafte expandieren ließ. Zugleich gelingt es Mucha wie keinem zweiten, das Mindset der alten, mythischen Bundesrepublik psychogrammatisch aus Materialien wie Filz, Blech und Holz, aus ihren Möbeln, Aktenschränken und Registerkästen, ihrem Bild- und Sprachgebrauch („Deutsche Leitz-Kultur“) und, nicht zuletzt, aus der eigenen, sozusagen „autofiktional“ in Stellung gebrachten Biografie zu entfalten.

Kunstreich, wie er einerseits das fetischhaft „-tümelnde“ der Beuys’schen Material-Referenz-Alchemie banalisiert und andererseits die Selbstreinigungstaktiken der Minimal und Conceptual Art gegen sie richtet. Wie er seine – sichtlich „gemachten“ – Geschichts-und Erinnerungskästen re-auratisiert, ohne auszublenden, dass Aura und Beize gerne mal dasselbe sind. Im besten Fall – wie im monumentalen, um einen Kern handgemalter Bahnstationsschilder arrangierten „Wartesaal“, oder klein und kompakt, wie im aus vier aufeinander gepackten Vintage-Radios gebildeten „Vier-Mächte-Status“ – positioniert er sich als Anti-Kiefer und dessen nimmer versiegender Blei-und-Boden-Konfektion.

Nicht ganz unschuldig an dem – vor allem im K20 fulminanten, im K21 ein wenig wahllos ins Warenförmige ausufernde – Wiedersehen dürfte sein, dass sich seit 2014 und intensiv seit 2019 die renommierte Galerie Sprüth Magers um Muchas Werk kümmert. Vor allem ist die Schau ein spätes Trostpflaster, nachdem die ehemalige Kunstsammlungs-Direktorin Marion Ackermann, heute Chefin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Muchas mit dem K21 sozusagen kanonisch verschweißtes „Deutschlandgerät“ einst ins Depot entsorgen wollte. Als Schau und Exempel heute umso beachtlicher.

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

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Der Mucha – Ein Anfangsverdacht
03.09.2022 - 22.01.2023

K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
40213 Düsseldorf, Grabbeplatz 5
Tel: +49-211- 8381-130, Fax: +49-211-8381-201
Email: info@kunstsammlung.de
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Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18, Sa, So 11-18 h

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