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C(hoch)4: Programmatisches Manifest mit intimen Einblicken

Contamination, Crossover, Community, Collection: Unter diesen vier Schlagwörtern vereint, eröffnete Ende Mai die erste Ausstellung der neuen Direktorin und Kuratorin des Kunstmuseums Liechtenstein Letizia Ragaglia. Mitunter soll die Ausstellung exemplarisch die Agenda von Ragaglia, ein lebendiges Museum, das über das Sammeln, Bewahren und Präsentieren hinausgeht, verdeutlichen. Vier unterschiedliche und recht junge künstlerische Positionen (Anspielung Nummer eins auf die Vier in „C4“), bespielen je einen der insgesamt vier Oberlichtsäle (Anspielung Nummer zwei auf die Vier in „C4“) und haben dabei beinahe völlige Carte blanche genossen. Einzige Voraussetzung: die Künstler:innen sollen sich je mit einem Werk aus der Sammlung auseinandersetzen und dieses dann auch in die eigene Präsentation integrieren. Auf diese Weise werden ausgewählte Objekte und Künstler:innen aus dem Liechtensteiner Archiv neu erforscht und wiederbelebt; frei von jeglichem nostalgischen Blick, dafür aber in einem neuen, zeitgemäßen Kontext.  

Den Beginn und zugleich einen der stärksten Beiträge der Ausstellung markiert Nazgol Ansarinia. Eigentlich aus der Architektur kommend, setzt sich Ansarinia in ihrer künstlerischen Arbeit meist mit Raum auseinander. Dies spiegelt auch ihre Archiv-Wahl „Cellule no. 5“ von Absalon aus dem Jahr 1992 wider. Ansarinias eigens für „C4“ angefertigte Arbeit „The Inverted Pool“, reagiert auf einer ästhetischen als auch konzeptuellen Ebene auf Absalons Raumkapsel. Im Maßstab 1:2 invertierte die Künstlerin den Grundriss ihres eigenen Hauses in Teheran und thematisiert damit das Konzept von physischem und mentalem Raum anhand eines realen Ortes, der von der Künstlerin auf ihre körperlichen und psychischen Bedingungen abgestimmt und adaptiert wurde. Das Thema des Pools rührt von Kindheitserinnerungen her: an eine Ansicht auf ein mit Schwimmbecken überzogenes Teheran der Sechzigerjahre.

Den gelungenen Dialog zwischen Nazgol Ansarinias Arbeit und Absalons „Cellule no. 5“, wiederholt sich im nächsten Oberlichtsaal, bespielt von Mercedes Azpilicueta, leider nicht mehr. Und das, obwohl theoretisch klare Parallelen in ihrer und den gewählten Archivstücken von Anne Marie Jehle erkennbar wären. Getragen wird Azpilicuetas Raum von dem Teppich „Potatoes, Riots and Other Imaginaries“ und die Geschichte die dieser erzählt. Eine Erzählung, die sich sowohl optisch als auch thematisch mit von Frauen getragenen Widerständen sowie der persönlichen Geschichte von Azpilicueta verwebt. Rund um diese Textilarbeit finden sich mehrere kleinere als auch größere Arbeiten. Die dekonstruierten Skulpturen von Räumen mit den Titeln „The Magic Kitchen“, „The Quick Foyer“ oder „The Gone Bedroom“, die in Kooperation mit Katharina Kasinger entstanden sind, thematisieren sowohl kontroverse Beziehungen als auch die Materialisierung von Dialog, und gehen so schon mehr auf Jehles künstlerisches Schaffen ein. Dennoch kommt der Dialog mit den darauf platzierten kleineren Arbeiten von Anne Marie Jehle nicht wirklich zustande. Was wohl der Fülle an – im Einzelnen betrachtet durchaus starken – Werken in diesem Raum zu verschulden ist.  

Die mitunter persönlichen Geschichten von starken Frauen ist auch ein zentraler Punkt im Beitrag von Diamond Stingily. In dem emotional aufgeladenen Raum, der ihrer verstorbenen Mutter gewidmet ist, werden persönliche Erinnerungen wie in der Serie „Entryways“ (2019-2021) oder der Arbeit „Elephant Memory“ zu exemplarischen Narrativen, die die Geschichten von Afroamerikaner:innen und Familienmitgliedern verkörpern. 

Die Plastik-Bouquets der Installation „dead Daughter“ greifen das Motiv des barocken Stilllebens von Franz Werner von Tamm auf. Während beide dieser Blumendarstellungen unverwelkbar sind, reflektiert „dead Daughter“ Stingilys intensive Auseinandersetzung mit Tod und Trauer und komplementieren so den Raum. Sie spannen einen roten Faden durch den Oberlichtsaal, der zu einem Hybrid zwischen jenem Schönheitssalon ihrer Mutter in dem sie aufwuchs und einem Bestattungsinstitut wird.  

Im vierten und letzten Oberlichtsaal betrachtet das Künstlerduo Invernomuto, bestehend aus Simone Bertuzzi und Simone Trabucchi, das Provinziale und den Geschichten die dort zu finden sind. Die Provinz als Objektiv durch das in die Welt hinaus geblickt wird. Hierbei geht es Invernomuto um die Zweideutigkeit von Historien, die durch unfertige Monumente und Fragmente verkörpert werden. So geschehen in der Arbeit „Rimini Capitale Afro“, die ein Replikat der gelben Mauer des Melody Clubs in Rimini darstellt, eben jenem Club, in der DJ Pery den Global Sound begründete. Wie sich das anhört, erleben die Besucher:innen dank der Sound- und Lichtinstallation, die den Raum choreografiert. Zwischen „Rimini Capitale Afro“, „Zion, Paessagio“ und „Wax, Relax“ findet sich zudem auch das der arte povera zugeschriebenen Werk „Ponte Ievatoio“ von Pino Pascali aus dem Jahr 1968, das einen zusätzlichen Blick in und auf die Heimat Italien wirft und auf diese Weise die Arbeit des italienischen Künstlerduos ein Stück auch kontextualisiert.

Mit „C4“ feiert Letizia Ragaglia einen vielfältigen, jungen und durchaus sehr sehenswerten Einstand im Kunsthaus Liechtenstein, bei dem sie den frischen Wind, den sie mitzubringen verspricht, als programmatisches Manifest sichtbar werden lässt.

Mehr Texte von Bettina Siegele

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C(hoch)4
20.05 - 04.09.2022

Kunstmuseum Liechtenstein
9490 Vaduz, Städtle 32
Tel: +42 3-235 03 00, Fax: +42 3-235 03 29
Email: mail@kunstmuseum.li
http://www.kunstmuseum.li
Öffnungszeiten: Di-So 10-17, Do 10-20 h


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