Werbung
,

Experiment 70 - Designvisionen von Luigi Colani und Günter Belzig: Polyester in Pöseldorf

Luigi Colani personifizierte den Zeitgeist um 1970 wie sonst nur Popstars. Permanent präsentierte er in den Medien sein jeweils neuestes Auto-Modell und seinen Asterix-Schnäuzer. Auf den Kunststoff-Hype folgte indes bald die Ölkrise mit dem Sonntags-Fahrverbot, das Deutschland gespenstisch leere Autobahnen bescherte. Plastik war spätestens zu dieser Zeit als erdölabhängiges und damit keineswegs ungebrochen zukunftsträchtiges Material diskreditiert. In den Wohnzimmern machten sich schwere Polstergarnituren mit breiten Holzlatten breit, aufgeschäumte Wohnlandschaften waren irgendwie out, und Gruppensex-Parties in Pöseldorfer Zahnarztvillen gab es nur noch auf "Stern"-Karikaturen. Bei Colani fand dieser Wandel nie statt. Als Ende der Achtziger in einer Stuttgarter Fußgängerpassage eine Selbstbedienungs-Bankfiliale zur Gänze in Colani-Design gekleidet wurde, war es ein eigenartiger Hybrid aus anachronistischer Space-Age-Utopie und mintgrünem Eighties-Chic, zu früh, um vom Retro-Bonus zu profitieren, zu spät, um ernst genommen zu werden. Schon nach wenigen Jahren wurde sie komplett umgebaut. Wenn das Mobiliendepot nun Colanis Entwürfe Revue passieren lässt, ist der Zugang bereits ein historischer. Was sie heute mit dem von Colani so vehement abgelehnten Bauhaus verbindet, ist dabei die Faszination des Idealen, präsentiert in verkratzten, abgeblätterten Prototypen, die die aufregenden Schnittpunkte zwischen Utopie und ihrer versuchten Realisierung bezeichnen. Ihnen zur Seite gestellt sind die Kunststoffmöbel-Experimente des weit weniger bekannten Günter Beltzig, der ohne Schnauzbart, dafür mit schickem Mod-Dreiteiler für seinen "Floris"-Stuhl wirbt. Sexuelle Befreiung wird in Beltzigs "Termitropolis"-Häusern "in Form einer weiblichen Brust" mit zentraler Glasbadewanne für alle Arten von Lebens- und Liebesformen und Colanis "Ylem"-Utopien nebenbei auch noch beworben. Die Befreiung der Frauen beschränkt sich allerdings auf eine Kugelküche und einen Sekretärinnenstuhl.
Mehr Texte von Iris Meder †

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Experiment 70 - Designvisionen von Luigi Colani und Günter Belzig
21.01 - 04.04.2004

Möbelmuseum Wien
1070 Wien, Mariahilfer Strasse 88, Eingang Andreasgasse 7
Tel: +43-1-524 33 57
Email: info@moebelmuseumwien.at
https://www.moebelmuseumwien.at/
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: