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Erwin Wurm - Subject: Ein Kipferl für die Ewigkeit

In den letzten Jahren ist dem Künstler Erwin Wurm alles in seinen Händen größer gewachsen, hat sich ausgedehnt, ist fett geworden. In seinen frühen „Staubskulpturen“, ließ er den abgelagerten Staub rund um ein ehemals anwesendes, jedoch nun abwesendes Objekt imaginieren. Die Frage nach den Möglichkeiten der zeitgenössischen Skulptur war auf die zweidimensionale Aussparung auf der Oberseite eines klassischen Sockels reduziert. Danach wurden die Skulpturen Wurms wieder dreidimensional, doch der Künstler schaffte es durch einen Kniff, sie wieder ins Ephemere einer flüchtigen Existenz und in die Zweidimensionalität ihrer Dokumentation auf Fotos und in Videos zu pressen. Die „Skulptur als Handlungsanleitung“ forderte auf zum selbst aktiv werden, in teils absurden Verrenkungen und mit Essiggurkerl zwischen den Zehen, Spargelstangen in der Nase oder eingezwängt in zweckentfremdete Kleidungsstücke für eine Minute zu posieren. Die Fotos und Videos der witzig-absurden Settings wurden vom Kunstmarkt gerne angenommen. Das Konzept konnte Erwin Wurm dann auf Möbelstücke ausdehnen die in ähnlich surrealen Posen mittels Joghurtbechern an die Wand gelehnt oder auf Wurstsemmeln gestellt wurden. Diese Assemblagen bildeten den Übergang zum späteren „Arbeiten am Volumen“ wie Wurm die Bildhauerei definiert, allerdings gerieten ihm seine Darstellungen aus der Norm, wurden gestaucht und verzerrt wie das begehbare Modell seines Elternhauses, oder sie wurden Fett und träge wie etwa ein übergewichtiger Würstelstand, an dem dann auch passend überdimensionale, fettige Würste zum Verzehr angeboten wurden.

Erwin Wurms Skulpturenwelt wird von vielen weiteren und oft ironisch-witzigen Gebilden bevölkert, wie etwa den mit „Mutter“ betitelten Wärmeflaschen unterschiedlicher Größe und Materialität. Seine Skulptur des auf der Motorhaube stehenden Kleinlastwagen vor dem Österreichischen Pavillon auf der Biennale di Venezia 2017, lud dazu ein, sie zu besteigen und von der oberen Plattform wurde aufgefordert das von den Giardini aus nicht sichtbare, Mittelmeer zu betrachten, eine Handlungsanweisung des Künstlers die den Betrachter zum interagierenden Protagonisten seiner Kunst machte. Genauso wie er selbst sich in seiner Kunst spiegelt wie zum Beispiel bei den unvergessenen, vielfältigen Skulpturen von Essiggurkerln, die von kleinsten bis auf das „menschliche Maß“ gebrachten überdimensionalen Ausformungen sogar schon von ihm selbst als fiktives Selbstporträt des Künstlers bezeichnet wurden.

Im Kleinen Haus der Kunst ist nun die aktuellste Serie von ins Absurde vergrößerten Lebensmitteln angekommen. Sechs Skulpturen sind im Hauptraum verteilt, die, so Erwin Wurm, für eine toxische Seite unserer österreichischen kulturellen Identität stehen sollen. Fast drei Meter ragt das Paar Frankfurter* aus hellem Paonazzo Marmor empor, das an testosterongesteuertes Machogehabe am Würstelstand erinnern soll, was jedoch durch den Titel „Sublime“ wieder gebrochen und gänzlich ad absurdum geführt wird. Welche Form der Erhabenheit soll bitte in einem Paar Würstchen liegen? Eingängiger vielleicht das schlanke, zwei Meter hohe Salzstangerl das sich als „Subject“ trotz aller sonstigen Chia- oder Fitness-Weckerl immer noch behauptet, während die „lange Semmel“ immer seltener wird und sich in Bescheidenheit üben muss (Modesty, Breccia Pontificia Marmor). Selbst an der zweitwichtigsten Ingredienz zur Wiener Kaffeehausgemütlichkeit, dem Kipferl, lässt Wurm uns zweifeln (Doubt, Breccia Marmor).
Die schiere Dimension und das spürbare Gewicht der auf schmaler Basis balancierenden Skulpturen machen Eindruck und die mit dem Marmor verbundene Kostbarkeit wird durch die Vergänglichkeit des Dargestellten konterkariert. Dennoch ergeht es Erwin Wurms Skulpturen so, wie ihren Vorbildern im realen Leben: Sie erreichen ein schnelles Gefühl der Sättigung, richtige Nahrung sind sie nicht.

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* Auch Wiener Würstchen genannt

Mehr Texte von Werner Remm

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Erwin Wurm - Subject
25.02 - 17.04.2022

Kleines Haus der Kunst
1010 Wien, Friedrichstraße 7
Email: kontakt@kleineshausderkunst.at
https://kleineshausderkunst.at/


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