Edvard Munch - Im Dialog: Munch – das ultimative Vorbild
Auf der Suche nach neuwertigen Ausstellungsformaten in klassischen Kunstinstitutionen gelingt der Albertina eine Ausstellung der Extraklasse: Bereits zum dritten Mal gastiert hier einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts, der Norweger Edward Munch (1963-1944) - ein „Maler der Befindlichkeiten“, diesmal mit seinem Spätwerk (rund 60 Bilder) im beispiellosen „Dialog“ mit sieben anerkannten künstlerischen Positionen der Gegenwart: Georg Baselitz, Miriam Cahn, Peter Doig, Marlene Dumas, Andy Warhol, Tracey Emin und Jasper Johns.
Das Besondere an der anspruchsvollen Schau ist, dass jede/r der in der Albertina präsentierten Verehrer*innen Munchs, der zu seiner Zeit den Keim für den deutschen Expressionismus legte und später dank Warhol zum Vorbild für den neuen Künstlertypus des Popstars wurde, quasi „ein Zimmer“ ganz für sich allein hat. Und so ist im Fall von Peter Doig die pure Menge der bekannten Exponate aus den renommiertesten europäischen Museen absolut beeindruckend. Das ist gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, dass außer Baselitz keine von diesen die westliche Kunstszene letzter Jahrzehnte prägenden Künstler*innenpersönlichkeiten bis dato eine umfassende Ausstellung in Wien hatte. In Anbetracht dieser bedauerlichen Sachlage stellt sich ebenso die Frage, wie hoch dabei alleine schon der Publikumsanteil der Munch Apologeten sei, die ins Museum kämen. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass solche neue konfigurationsreiche Ausstellungsformate, die derzeit auch europaweit ausprobiert werden, eine breitere und jüngere Kunstöffentlichkeit in die historisch-gediehenen Kunsträume strömen lassen sowie einen größeren Anteil neuer Medien (Video, Film) darin zumindest ansatzweise ermöglichen würden.
Das einminütige Video von Tracy Emin All My Dead Children (1998) zu urexistienziellen Gefühlswelten wie Angst und Schmerz entstand in Erinnerung an ihre Fehlgeburt und schafft diesbezüglich einen guten Anfang: Gesteigert aber nicht übertrieben ist Emins tragischer Schrei - in Anknüpfung an Munchs traumataartige Ikone - in benachbarten Sälen rundherum zu hören, womit die süffisante These bestätigt wird, dass sich jedwede Kunst nicht allein durch Betrachtung erschließen lässt. Die vehement leidenschaftliche Engländerin behandelt auch in ihren ephemer-zeichenhaften Bildern schonungslos ihre aus dem eigenen Leben stammende negativen Erlebnisse und rückt damit ihrem von psychischer und physischer Zerrüttung gezeichneten Idol ziemlich nah an den Leib. Erfrischend stark und fast mythisch-spirituell farbleuchtend - im Gegensatz zu der sich allzu oft in ihren kreisenden Motiven wiederholenden und etwas angestaubt wirkenden pathetischen und dennoch kraftvollen Malerei Georg Baselitzs - erscheint der Raum mit einigen großformatigen Gemälden Miriam Cahns, die von Munch reflektierte Geschlechterrollen als graduell sich ausbreitete Geschlechtertrouble oder Geschlechtertausch vorausblickend aktualisiert. Ganz anders geht der Amerikaner Jasper Johns mit Munch als Vorbild um. Er zeigt sich auf passionierte Art von einem einzigen abstrakten Kreuzschraffur-Muster des Norwegers in seinem letzten Selbstbildnis Zwischen Uhr und Bett derart fasziniert, so dass er es dann jahrelang als sein Motiv in geometrisch-abstrakten als auch figurativen Kompositionen vielfältig variiert und damit etwas, das es noch nicht gab innovativ als Abstraktion versinnbildlicht. Diese internationalen Positionen lassen die Behauptung (von Thomas Macho) gelten, dass radikale Vorbilder stets Zukunftsbilder sind.
18.02 - 19.06.2022
Albertina
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