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Lawrence Weiner 1942 - 2021

Zuerst war das Wort, sagte er einmal, und dann war zu sehen, dass vor dem Wort etwas anderes war. Nicht die Wörter bilden die Sprache ab, sondern die Dinge folgen der Sprache.

Mit Lawrence Weiner verliert die Kunstwelt eine ihrer herausragendsten und außergewöhnlichsten Persönlichkeiten.

Sprache kann als Innerliches gedacht oder als Instrument zur Kommunikation benützt werden. Wenn sie verfasst und geschrieben wird, verfestigt sie sich. Der Vollzug gerinnt zur Präsentation, oder wie Rainer Metzger einmal schrieb: „Das Energetische wird zum Ergon“. Die Buchstaben benötigen einen Fond, gewöhnlich ein weißes Blatt Papier, sodass sie lesbar werden. Lawrence Weiner zeigt Schriftbilder jedoch in anderen Formaten. Er bringt Worte, Sätze, Statements in verschiedensten Maßstäben auf, am liebsten riesenhaft auf Wänden, zuweilen unscheinbar auf Kanalabdeckungen, manchmal verborgen und persönlich wie in Tattoos.

Der entscheidende Gedanke ist die Entmaterialisierung des Werkes. Es ist nicht nötig, ein Kunstwerk auszufertigen, es genügt die gedankliche Vorstellung oder – wie es damals Ende der 1960er hieß – das Konzept. Die Ausführung ist variabel, die Erscheinung kontingent. 1968 verfasst Weiner drei Statements, die als Gründungstext dieser Kunstrichtung gelten. Sie zählen zu den Standards jedes Kunstunterrichts. 1969 nimmt er an der  Ausstellung “When Attitudes Become Form” teil, sieht seine Kunst dennoch nicht als Haltung, sondern als Fazit. Fortan sieht er davon ab, Werke im gewöhnlichen Sinne herzustellen, stattdessen exponiert er Texte, die solche beschreiben. Seine Sätze sind buchstäblich, das heißt, materiell zu verstehen. In eben dem Sinne sparen sie Subjekte aus. Weiner verwendet das Partizip Perfekt oder den Infinitiv. Etwas geschieht, etwas ereignet sich mit und an den Dingen. Die/der Urherber:in verschwindet und damit die Merkmale der Identität: das Geschlecht, das Alter, die soziale Zugehörigkeit, ja sogar die Intention. An die Stelle des Charakters tritt der „character“, so heißen die Zeichen im Englischen. Skulptur manifestiert sich als Schrift. Nur an den Dingen ist das Geschehen abzulesen.

Dreimal durfte ich mit Lawrence Weiner zusammenarbeiten. 2004 in Wien im Rahmen der Ausstellung Ulysses. Der hochgebildete und vielbelesene Weiner verfasste einen Wandtext für das Atelier Augarten, das damals als Dependance für die Kunst der Gegenwart zum Belvedere zählte. Das zweite Mal schuf er 2008 in Belgrad ein Textbild auf einem leerstehenden Hochhaus, das weit hin über der Stadt zu sehen war. „PLACED ON EITHER SIDE OF THE LIGHT“ war da zu lesen, in einer Stadt, in der der nationalistische Mob die Straßen unsicher machte, in den Monaten, nachdem der Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Und schließlich 2017 im Kunsthaus Bregenz, in einer monografischen Ausstellung, die zwei Tage nach Donald Trumps Wahl stattfand, dessen Wahlsieg Weiner überzeugt vorhergesagt hatte. Weiner entwarf riesenhafte Lettern für den auratischen Bau, bunt und reduziert, prosaisch und monumenthaft – eine der eindrucksvollsten Ausstellungen in diesem Haus. Die öffentlichen Gespräche, die wir damals führten, wurden aufgezeichnet und sind online verfügbar.

Allein Weiners wahrscheinlich bedeutendste Arbeit im öffentlichen Raum existiert nicht mehr. Oder nicht an jenem Ort, für den sie gedacht war. „SMASHED TO PIECES IN THE STILL OF THE NIGHT“ wurde 1991 am Flakturm im 6. Wiener Gemeindebezirk angebracht, übertüncht durch die Expansion des Haus des Meeres. Ein unglaublicher Verlust für die Kunstgeschichte. Dennoch sei der Initiative gedankt, die das Werk an der Fassade des Museums für Angewandte Kunst als Projektion weiterhin sichtbar macht. Allein die Wahl des Ortes hat den Text zu einem Mahnmal werden lassen.

Weiner wurde 1942 in der New Yorker Bronx geboren, lebte lange Zeit in einem Hausboot in Amsterdam, zuletzt wieder in Manhattan. Unverwechselbar war seine Erscheinung: verschmitztes Lächeln unter wallendem Bart und eine sonore Stimme. Weiners Sätze waren wie gestochen. Seine politische Haltung unbestechlich. Er hatte die analytischen Fähigkeiten von Noam Chomsky und den Witz von Groucho Marx. In Österreich schloss er sich der Künstlerinnengruppe “Die Damen” an, augenzwinkernd und schelmisch, als assoziiertes Mitglied. In allen Gesprächen blitzte die kühne Intelligenz.

Anlässlich der Ulysses-Ausstellung 2004 schrieb Weiner einen Kommentar zu dem berühmten Roman von James Joyce: “Beginnend vom Rundturm aus soll versucht werden, einen Zustand der Gnade zu erreichen, nämlich das Gefühl, alles auf einmal bekommen zu können, das Existenzielle mit der wahrgenommenen Vergangenheit auszuschalten und gleichzeitig die Sprache auf den Punkt zu bringen, an dem das Versprechen des Sirenengesangs (Lorelei) eingelöst wird.” (Lawrence Weiner an Thomas D. Trummer, Februar 2004 )

Die Einlösung des Versprechens der Sirenen und einen Zustand der Gnade wünschen wir ihm. Lawrence Weiner starb am 2. Dezember 2021.

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Foto © Matt Tammaro

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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