Korakrit Arunanondchai - Songs for dying / Songs for living: Kulturindustrie und Sinnstiftung
Friedhofsstimmung im Hamburger Kunstverein, wie geschaffen, um sich vom bildungsbürgerlichen Trubel in der nahen Kunsthalle zu erholen. Für die Soloschau von Korakrit Arunanondchai ist die weite Ausstellungshalle in dunkles blaues Licht getaucht. Ein vager Geruch liegt in der Luft. Nebel zieht auf. Erdhaufen sind arrangiert. Von flackernden Kerzen umgeben, stehen darauf keramische Mäuerchen und erinnern hier an Grabsteine, dort ist auf Erde und Gezweig ein Kimono aufgebahrt oder eine Skelett-Figur unbestimmten Materials. Glückt das Timing, werden die Besucher von rituellen Trommeln aus dem Soundtrack eines der beiden titelgebenden Filme empfangen, die Kern dieser Präsentation sind.
„Songs for the Dying/Songs for the Living“, vom Kunstverein und dem Züricher Migros Museum gemeinsam auf den Weg gebracht, ist der bisher prominenteste Aufschlag des in New York und Bankok lebenden Künstlers im deutschsprachigen Raum – und zeigt Arunanondchais Spezialität: multimedial und polyhistorisch gleichermaßen weit ausgreifende Installationsspektakel. In Hamburg geht es dazu thematisch um die großen Seins- und Menschheitsfragen, ums Werden und Vergehen.
„Songs for the Dying“ und „Songs for the Living“ wurden beide 2021 realisiert; letzterer als Kollaboration mit Alex Gvojic. Der ist zwischen Mode, Pop und der Kunst unterwegs, die vor kurzem als Post-Internet Art Furore machte. Man sieht es dem Film an: ein atmosphärisches Pasticco aus Clip-Ästhetiken von Folk-Noir bis SciFi-Gloss. Nicht die Story, der Sound hält den Film zusammen, verengt dessen gewolltes „spirituelles“ Potenzial aber auch auf enge, kulturindustriell normierte (Geschmacks-)Muster.
Zwingender „Songs for the Dying“: ein Filmessay, der historische Doku-Aufnahmen, Found Footage und neu gedrehte Szenen einbezieht. Buchstäblich „berührend“ ist Arunanondchais Abschied von seinem Großvater inszeniert. Dass der Künstler, laut Saaltext, „in seinen Werken persönliche Erfahrungen verarbeitet“ – okay. Wenn er zudem „deren soziohistorische Bedingungen untersucht“, möchte man aber wissen, wie und mit welchem Mehrwert – oder muss halt glauben. Denn Arunanondchais Zitate, Analogien und Metaphern bleiben in formalem Sinn vor allem „Möglichkeit“ – alles kann, nichts muss. Bilder eines Massakers während des Korea-Kriegs und aktueller Proteste in Thailand, von Trauerriten und offizieller Erinnerungskultur, einer echten Meeresschildkröte und einer fiktiven Schamanin, dazu der allwissende Erzähler aus dem Off, samt Sitzbänken, die mit Arunanondchais Trademark-Material Denim überzogen sind, machen vor allem: Stimmung. Das gelingt dieser Ausstellung aber kaum besser als so manchem Concept Store, der von Rick Owens-Sneakers über Baobab-Duftkerzen bis zum letzten Pan Daijing-Album eben auch ein Sinnangebot verkauft.
04.12.2021 - 20.02.2022
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