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Technoschamanismus: Es geht ums Ganze

Als am 6. Januar 2021 ein über die Wahlniederlage Donald Trumps enttäuschter Mob das Kapitol in Washington D.C. stürmte, herrschte die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg. Ein mit Hörnern und Fellen verkleideter Randalierer geisterte als Ikone des Aufstands durch die internationale Bildberichterstattung. Von einem „Schamanen“ der „White Supremacy“ – einer Ideologie ‚weißer Vorherrschaft‘ – war zu lesen, wo es doch eigentlich um Terror ging.

Szenenwechsel: Im Jubiläumsprogramm „beuys 2021. 100 Jahre Joseph Beuys“ des Landes Nordrhein-Westfalen wurde ein anderer selbsternannter Schamane zelebriert. Aus den zahlreichen routinierten Präsentationen, die das Werk des Künstlers erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten, sticht die Ausstellung „Technoschamanismus“ im Dortmunder Hartware MedienKunstVerein wohltuend heraus. In selbstbewusst freiem Umgang mit Beuys – und den etablierten Logiken der Kulturförderung – wurde hier grundsätzlich nach der Figur des Schamanen innerhalb diverser zeitgenössischer Identitätspolitiken gefragt. Eine neuerliche Hinwendung zum „Schamanischen“, die Inke Arns, Direktorin des HMKV, als Ausgangspunkt ihres Ausstellungskonzepts hervorhebt, könnte als künstlerische oder aktivistische Antwort auf eine unheilvolle Gegenwartsdiagnose verstanden werden. „Liegt der tiefere Grund darin, dass im (post-)industriellen Zeitalter durch toxischen Kapitalismus und potenzierten Extraktivismus bzw. Raubbau an der Natur etwas auseinandergebrochen ist, was man durch den Einsatz „technoschamanistischer“ Praktiken und Rituale hofft, wieder zusammenfügen zu können.“, fragt Arns in ihrer Einleitung zur Ausstellung. Kurz gesagt: Es geht ums Ganze.

Entsprechend bunt ist auch der Strauß an künstlerischen Positionen. Im Zentrum der Ausstellung findet sich ein vom Künstler Johannes Paul Raether ‚umsorgter’ hellblauer „Shrine“, in dem „Transformella cinis“ eine neue „fiktionale Identität und hysterisch-subversiver Drag-Charakter“ symbolisch herangezüchtet wird. Raethers Hebammenkunst kümmert sich schon seit geraumer Zeit um die Ausbildung künftiger Lebensformen, deren post- oder transhumane Gestalt gegenwärtige (heteronormative) Lebensweisen transzendiert. Als ‚schamanisch‘ lässt sich diese Kunst insofern betrachten, als dass hier ein Medium Kontakt mit einer – hoffentlich besseren – Zukunft aufnimmt und affirmiert.

Suzanne Treister hingegen entwirft mit Buntstiften auf Papier Pläne, Karten und Mindmaps, die die gegenwärtige Kolonialisierung des Weltraums im Wettrüsten der Weltmächte sowie einer aufstrebenden privaten Raumfahrtindustrie visualisieren. In ihrer Serie „Technoshamanic Systems – New Cosmological Models for Survival“ stellt sie „mikrokosmische, nicht-kolonialistische Pläne für ein techno-spirituelles Imaginäres alternativer Visionen des Überlebens auf der Erde und der Bewohnbarkeit des Kosmos“ vor. Die rhizomatischen Darstellungen folgen dann doch einer binären Gegenüberstellung von Verschwörungstheorien und Geheimwissen. Eine gänzlich andere Route schlagen die künstlerischen Arbeiten von Mariechen Danz und Tabita Rezaire ein. So nimmt Danz einmal mehr die alte Kulturtechnik der Kartografie ins Visier, um in einem poetischen Unlearning erneut dem Allzumenschlichen in einer nur scheinbar objektiv vermessenen Welt einen Platz einzuräumen. Rezaire hingegen geht noch vor die Kolonialisierung zurück und beschwört in ihrer Videoinstallation „Mamelles Ancestrales“ (2019) die Aktualität ritueller Steinkreise. Die esoterische und ökonomische Anziehungskraft ganz anderer Steine ist wiederum Thema von „Swiss Psychotropic Gold, the Molecular Refinery“ (2020) des Schweizer Künstlerduos knowbotiq (Yvonne Wilhelm, Christian Hübler). Der Goldstandort Schweiz, wo bis zu 70% des weltweiten Goldes raffiniert und veredelt werden, wird in ihrer subversiven Arbeit zu einem Hort psychoaktiver Wirkungen.

Dieses schillernde Kaleidoskop von als ‚schamanistisch‘ deklarierten Arbeiten wird letztlich von Joseph Beuys‘   Stelldichein mit einem dressierten Film-Koyoten „I like America and America likes Me“ (1974) in der New Yorker Galerie René Block komplettiert. Dabei sprengen die vorgestellten Figuren des Schamanen alle Grenzen von Raum und Zeit. Die Ausstellung „Technoschamanismus“ ist eine zeitgenössische Wunderkammer, die in ihrer Überfülle an Themen, die Betrachter*innen jedoch auch etwas ratlos lässt. „Die Möglichkeit gesellschaftlicher Transformation“, die in Aussicht gestellt wird, erweist sich als eine Büchse der Pandora. Die Ausstellung selbst bleibt letztlich in vielem vage und unentschlossen. Eines macht sie aber dennoch sehr klar: Wer sich in die Hand von „Schamanen“ begibt, vertraut doch wieder auf Autoritäten die sich rationalen Erklärungen gerne entziehen und kann nur hoffen, dass sie Heilung und nicht ‚gehörnten‘ Horror bringen. Im Felde der Kunst mag dies schön und gut sein, für Politik ist es ein Problem.

Mehr Texte von Thorsten Schneider

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Technoschamanismus
09.10.2021 - 06.03.2022

Hartware MedienKunstVerein
44263 Dortmund-Hörde, HMKV im Dortmunder U / Leonie-Reygers Terrasse
Tel: +49 (0)231 40 80 279
Email: info@hmkv.de
http://www.hmkv.de
Öffnungszeiten: Di-Mi 11-18, Do-Fr 11-20, Sa-So 11-18 h


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