Werbung
,

Tausendundein Jahre – Pomp und Gloria in Bad Gastein

In einem der Zimmer im zweiten Stock des ehemaligen Hotel Astoria steht ein rot-weiß gestreifter Poller. Das seit mehr als zehn Jahren geschlossene Hotel ist eines der vielen Zeugen des verblichenen Glanzes des Kur- und Wintersportortes Bad Gastein. Allerdings erwecken die Zimmer den Eindruck, dass die Gäste jederzeit wiederkommen könnten. Die Betten sind frisch weiß bezogen, die Einrichtung zwar etwas antiquiert, aber nicht heruntergekommen, sondern gepflegt, der Staub frisch gewischt. Erst der zweite Blick offenbart die Nutzung als Ausstellungsraum, denn die Bilder an den Wänden zeigen z.B. einen rot-weiß gestreiften Poller, um den jemand sehr sorgsam eine rechteckige Fläche (Parkplatz?) mit gelber Linie abgegrenzt hat. Es sind die kleinen und größeren Absurditäten des Lebens, mit denen der diesjährige Jedermann-Star Lars Eidinger seit einiger Zeit seine Follower auf Instagram unterhält. Das Festspiel-affine Publikum in Bad Gastein nimmt die kleine Ausstellung dankbar an, lässt sich das im Jahr 2020 erschienene Buch Autistic Disco mit Eidingers Schnappschüssen signieren. Dazu passte auch der Auftritt des Jedermanns des Jahres 2018, Philipp Hochmair, der am Eröffnungswochenende seine Version von Goethes Werther vor der Bergkulisse auf der Terrasse des Hotel Miramonte performte.

Die Freude, dass nach den langen Lockdowns sowohl Ausstellungen als auch Hotels geöffnet sind, ist bei allen Beteiligten groß, allerdings mahnt die Neonschrift von Ariel Reichman vor den Ausstellungsräumen des ehemaligen Kraftwerks, sich nicht in falscher Sicherheit zu wiegen: I AM NOT SAFE – ob das Wort NOT leuchtet, dürfen die Besucher:innen im Innenraum des Kraftwerks via Knopfdruck entscheiden.

Trotz heuer kleinerem Budget ist die Veranstaltung wieder etwas gewachsen. Insgesamt werden nun vier Orte an der Kaiser Wilhelm Promenade bespielt und ein "Art Trail" bringt Kunst in den öffentlichen Raum. Ein leerstehendes Geschäftslokal hat die in Belarus geborene Polly Lapkovskaja in eine multimediale Inszenierung verwandelt in der Fragen nach Herrschaft und Macht verhandelt werden. Die ausgebildete Bassistin, ist mit ihrer Band Pollyester unterwegs, wenn sie nicht gerade für Theaterproduktionen komponiert wie aktuell für das Maxim Gorki Theater oder 2015 für die Salzburger Festspiele.

Die Ausgabe der Sommerfrische Kunst des Jahres 2020 ist der Pandemie zum Opfer gefallen und nicht alles, was dafür geplant war, konnte heuer realisiert werden. Dafür gibt es dieses Jahr ganz aktuelle Arbeiten zu sehen, wie z.B. Auszüge aus der Serie „Body Fallacy“ von Louisa Clement. Ihre großformatigen Fotografien zeigen Körperpartien einer vermutlich jungen Frau mit anscheinend perfekter Haut und Proportionen. Allerdings handelt es sich bei dem „Model“ um eine Sexpuppe aus chinesischer Produktion, wie sie nach den Wünschen der Kunden so realistisch wie möglich gefertigt wird. Louisa Clement hat für ihre aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle Gießen 10 solcher Puppen als „Repräsentantinnen“ fertigen lassen. Die weitgehend nach ihren Körpermaßen produzierten Figuren können sprechen, sind in gewissem Maß lernfähig und sollen sich abhängig von ihren Erfahrungen (mit den Sammlern die sie gekauft haben) weiterentwickeln.

Einem bisher unrealisiertem Teil der Sommer Frische Kunst könnte die Pandemie sogar den nötigen Schub für die Zukunft verleihen. Unter dem Titel „Art Bad Gastein“ war schon für 2020 eine kleine Kunstmesse geplant. Immerhin waren damals renommierte Galerien wie Johann König und PSM aus Berlin, die Produzentengalerie Hamburg, Knust Kunz aus München sowie Lisa Kandlhofer und Zeller van Almsick aus Wien zur Teilnahme angemeldet. Dieses Jahr war die Situation für eine Messe noch zu unsicher. Der Trend zum Lokalen spiegelt sich durch die Pandemie und die Reisebeschränkungen weltweit in den vielen kleineren Messeprojekten jenseits der Megamessen mit den Galeriekonzernen wider. Auch Bad Gastein müsste lediglich die überschaubaren Mittel der Sanierung des Kraftwerks aufbringen um auf diesen Zukunftszug aufzuspringen. Eine wertschätzende Geste des guten Willens gegenüber der Kunst und den Künstler:innen, die in den vergangenen Jahren durch die Initiativen von Andrea von Goetz, Evelyn und Ike Ikrath, Olaf Krohne und mit Hilfe der Tourismusabteilung die Basis dafür gelegt haben, dass nicht nur das „Bad“ sondern auch die „Art“ dem Ort Gastein nach tausendundeinem Jahr historischer Erwähnung als Ort für freudvolle Genüsse und prominenter Besucher eine Zukunft geben könnte.

--
Unser Interview mit Andrea von Goetz zum diesjährigen Programm in Bad Gastein --> finden Sie hier.

--> artbadgastein.com

Mehr Texte von Werner Remm

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: