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Gerold Tagwerker - construct_unfinished, ein Display für Skulpturen: Im Spiegel das Ich

Der Vorarlberger Gerold Tagwerker zeigt bei Leon Boch im Kunstraum DWDS eine Arbeit, die direkt in die bürgerliche Kindheit im katholisch geprägten Feldkirch der 1970er Jahre führt.

Der junge Gerold (geb. 1965) spielte mit Spielkartengroßen Steckkarten, die an den vier Außenseiten geschlitzt waren, sodass sie zu jeder beliebigen Form zusammensteckbar waren. Obwohl die Pädagogik damals zweckgerichtet war und dem Kind brachial etwas beibringen wollte (im Kindergarten musste immer etwas gelernt werden), fand sich der spätere Künstler in diesem Spiel, dass zwar beschränkt, aber doch endlos veränderbar blieb. Auch wenn die Möglichkeiten begrenzt sind, sind diese doch innerhalb dieser Grenzen unendlich.

Gerold Tagwerker hat bekanntlich am Mozarteum studiert und „lebt und arbeitet“, wie das in Künstlerbiographien immer heißt, seit 1989 in Wien. Seine Werke zur klassischen Moderne sind Legende und seine intime Kenntnis der Kunst nach 1945 ist es auch. Tagwerkers in Bregenz jetzt ausgestellte Versuchsanordnung „construct unfinished - ein Display für Skulpturen - 2008/2021“ hat schon im Kunstverein Augsburg, der Landesgalerie Linz, dem Belvedere Wien und im Museum für konkrete Kunst Ingolstadt Station gemacht. Jetzt hat der Künstler seinen Baukasten noch einmal ausgepackt, denn durch wiederholtes Aufbauen wird ein System immer weiter präzisiert, ist Tagewerker überzeugt. In Bregenz hat er diesen Baukasten kompromisslos als Display in Szene gesetzt. Das heißt, dass die Kunst, das Schöne, das nach Kant „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ sei, ihren klassischen Anspruch aufgibt, zugunsten einer funktionalen, nachgerade dienenden Funktion. In der Sprache des 20. Jahrhunderts heißt das „Form Follows Function“. Das unfertige Konstrukt hat im DWDS nämlich eine Aufgabe, und zwar Kleinskulpturen aus der Sammlung Boch zu präsentieren. Eine „Ausstellung in der Ausstellung“, eine „Verdoppelung von Parametern der Kunstpräsentation“ wie Gerold Tagwerker erklärt, die etwa eine frühe Arbeit von Herbert Albrecht zeigt, die weniger an seinem akademischen Lehrer Fritz Wotruba, und mehr an der existentiellen Längung Alberto Giacomettis orientiert scheint. Weitere Kleinskulpturen von den Vorarlberger Künstlern Gottfried Bechtold und Walter Salzmann sowie Gottfried Honegger, Josef Pillhofer, Heinrich Bobst, Stefan Faas und Alfred Haberpointer lassen sich bei dem Parcours durch die begehbare Skulptur entdecken.

Ein Element ist für die Arbeit von Gerold Tagwerker mit immer wiederkehrenden ästhetischen Phänomenen besonders bezeichnend: Der Spiegel. Teile des Displays sind auch mit einer spiegelnden Folie überzogen und werfen den Betrachter auf sich selber zurück. Innerhalb des Displays ist der Betrachter mit sich selbst konfrontiert. Der Spiegel ist die moderne, faktisch gewordene Form des Orakels in Delphi über dem der berühmte Satz stand: „Erkenne Dich selbst!“ Die Kunst ist „sich selbst sehen“ wie Angeli Janhsen in seiner Schrift über Christian Boltanski und Bill Viola ausführt. Radikalisiert war die Arbeit Tagwerker diesbezüglich 2014 im barocken Spiegelsaal der Österreichischen Galerie Belvedere, der sein Urbild im Schloss Versailles hat. Der Kunstraum DWDS „Die Wiederkehr Des Schaufensters“ ist als Off-Space neben einem Skatershop, der nicht kommerziell, sondern vielmehr experimentell arbeitet, das Gegenbild zum Prunkpalast Ludwig XIV. und genau deswegen reizvoll.

Mehr Texte von Wolfgang Ölz

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Gerold Tagwerker - construct_unfinished, ein Display für Skulpturen
13.07 - 14.08.2021

DWDS
6900 Bregenz, Jahnstraße 13 - 15
Email: hello@dwds.info
https://dwds.info
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-18, Sa 10-16 h


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