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Anri Sala: Daseinsmetapher

Anri Sala ist im Kunsthaus Bregenz zweifelsohne ein großer Wurf gelungen. Ob nun das Haus im Grunde für akustische Arbeiten nicht geeignet erscheint, wie Direktor Trummer anlässlich der großen Susan Philipsz Ausstellung „Night and Fog“ 2016 selber konstatiert hatte, oder ob die auratische Präsenz des Betonbaus und seine besondere Akustik den perfekten Resonanzkörper für die Kunst von Anri Sala bietet, wie im vorab erscheinenden Museumsheft zu lesen ist, bleibt mit einem logischen Kurzschluss für Trummer offen, der meint, dass beides gelte. Jedenfalls werden die drei Stockwerke des Kunsthauses dieses Mal auffallend kompromisslos bespielt.

Im ersten Stock zeigt Anri Sala die Arbeit „If and Only If“ aus dem Jahr 2018. Es handelt sich um ein großformatiges Video, auf dem ein Geigenvirtuose Strawinskys Elegie für Solo Viola sehr eindringlich, schmerzlich lächelnd und entrückt spielt. Der Protagonist des Settings ist aber eine Weinbergschnecke, die während des Musikstücks langsam den Geigenbogen nach oben kriecht. Der künstlerische Ausdruck findet sich in der Welt eines natürlichen Geschöpfs wieder, der Raum der klassischen Musik öffnet sich in einen fremden, tierischen Kosmos, in die Langsamkeit einer Schnecke.

Der zweite Stock hat laut Anri Sala so etwas wie die Funktion eines Intervalls zwischen ersten und dritten Stock. Der Raum ist gänzlich leer, nur Bilder der Wände des Kunsthauses werden auf diese zurückgeworfen. Im Nichts wird die Fülle ansichtig. Die Musik wird zum spirituellen Träger einer Erfahrung an der Grenze von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Das Zumthor-Gebäude wird selbst zum Instrument, zur Klangskulptur deren Stereoeffekte zwischen Schwermut und Stille changieren.

Während das Kriechen der Weinbergschnecke auf dem Geigenbogen im ersten Stock eine gänzlich analoge Aufnahme darstellt, ist der im Raum kreisende Plattenspieler auf der riesigen Leinwand im dritten Stock komplett durch Computertechnik generiert. Anri Sala bezieht sich in dieser 2021 neu geschaffenen Arbeit mit dem Titel „Time No Longer“ auf den Astronauten Ronald McNair, der 1986 das erste Musikstück in Schwerelosigkeit an Bord des Space-Shuttles Challenger spielen hätte sollen. Der Absturz der Challenger nur wenige Sekunden nach dem Start riss alle damaligen Astronauten in den Tod. Der Plattenspieler bei Anri Sala kreist in Schwerelosigkeit über die Bildfläche, versinkt im spiegelnden Kunsthaus-Boden wie ein bewegliches abstraktes Gemälde der Hard-Edge-Malerei und scheint den perfekten Ort für seine Musik da draußen im Weltraum zu suchen. Das gespielte Stück stammt von Olivier Messiaens. Der „Abgrund der Vögel“ war 1941 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager entstanden, wo den bedeutenden französischen Komponisten Gefühle der Einsamkeit und des Eingesperrt-seins quälten. Den hohen Klang einer Klarinette, der die Vögel, das Verlangen der Menschen nach Licht symbolisiert, unterlegt Anri Sala mit den tiefen Tönen aus einem Saxophon, in denen die Trauer und Müdigkeit der Existenz veranschaulicht wird. In Kombination von Musik und spektakulären Bildern gelingt Anri Sala nichts weniger als eine gültige Metapher auf das Dasein des Menschen insgesamt.

Mehr Texte von Wolfgang Ölz

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Anri Sala
17.07 - 10.10.2021

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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