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Tenant of Culture - Autumn Cloth: Dress Code – Redimensioned

Kunst und Mode standen immer schon im Dialog oder Wettlauf miteinander. Die beiden können unberechenbar, ironisch aber auch dystopisch und dekonstruierend in ihrem Output sein. In den letzten zwei Jahrzehnten verbanden und verbandelten sie konzeptuelle Praxen wie u.a. Kollektivität und verdeckte Autorenschaft sowie teilweise ihr umstrittener Celebrity-Kult oder Faible für Luxus. Und so kam es, dass, während die Galerien und Museen aufwendige Mode-Paraden mit VIPs aus der Kunstszene veranstalteten, Chanel eine echte Rakete vom Grand Palais in den Weltraum schoss, womit die spätkapitalistische Schnelllebigkeit der Kommerztrends ad absurdum geführt wurde.

Auch das postapokalyptische Display der aktuellen Ausstellung der zur Zeit international gefragten Tenant of Culture (Pseudonym der in London lebenden Niederländerin Hendrickje Schimmel) in der Wiener Galerie Sophie Tappeiner nimmt von einer Außenposition auf das saisonale Merchandising von Fast oder High-Fashion Giganten Bezug: Auf den grazilen metallenen mit Glas veredelten Sockeln sind auf Augenhöhe Stiefelskulpturen wie begehrenswerte Designer-Ware oder die Fetische einer untergangenen, exotischen Zivilisation zur Schau gestellt. Zur optischen Verkostung werden sieben prachtvolle Einzelstücke angeboten, jedes auf seine Art extravagant und ein Unikat. Man könnte behaupten, dass sie in ihrer posierten Originalität oder affektierten Ästhetik beispielhaft für die diversen Subjektcharaktere im Kapitalismus stehen, von der verwöhnten Tussi über die queere Prinzessin bis zum Schuhfetischisten oder einem verkoksten Jachtbesitzer. Alles ist kompliziert, abartig geworden und absichtlich hässlich.

Die im Pressetext als „hybride Zombie-Objekte, die von früheren Produktlebensdauern heimgesucht werden“ bezeichneten Stiefelskulpturen sind gänzlich aus recycelten Schuhen, Handtaschen, allerlei Gürtel, Futter, Schaum und Textilmüll erzeugt. Einen betont trashigen Eindruck vermittelt die Arbeit mit dem Titel Puzzlecut Boot Miscellaneous, in der das Innere des Schuhs desavouierend nach außen gestülpt wurde, sodass sich schlampige Nähte und wenig exakte Schnitte oder kleine Etiketten mit verwischten Produktionsorten zu einem rätselhaften Patchwork vermischen. Hier tritt gleichsam ein Stück einer neoliberalen, surreal anmutenden anything-goes Extrarealität bzw. eine Störung des Egowahns (angeblich typisch für Designer) hervor, die sich wenig um den Rest der Welt scheren. Damit visualisiert die Künstlerin auch die üblichen Herstellungsabläufe und die Trenddiktatur der Modebranche, die in Zeiten des Klimawandels und verstärkt seit der Corona-Pandemie als überaus fragwürdig gelten. Die Kritik von Tenant of Culture beschränkt sich aber nicht nur auf die Repräsentationsstrategien in der Modewelt. Sie greift auch immer wieder geschlechtsspezifischen Archetypen und ihre Kodierungen an, die sie zu überwinden trachtet.  

In der Autumn Cloth betitelten Ausstellung gibt es auch eine Wandarbeit, die den gleichnamigen Titel trägt: Es ist ein aus ausrangierten Stoffen und Zutaten wie Seil oder Faden im Re- und Upcycling Verfahren zusammengesetztes Kleidungsstück, quasi im nächsten (und vermutlich letzten) Lebenszyklus seiner Verstrickung, das wie die Tierkadaver in den Bildern von Rembrandt oder Soutine mit seinem sezierten Inneren zur Einsicht an einer Metallstange hängt. Durch die Demontage und die Hybridisation von industriell gefertigten Kleidungsstücken untersucht Tenant of Culture auf eindringliche Weise, wie ideologische Rahmenbedingungen in Bezug auf Produktions-, Zirkulations- und Vermarktungsmechanismen von Bekleidung meist ziemlich reaktionären Fantasien entsprechen, wobei Schimmel nicht nur einen Status der Verwesung andeutet, sondern in unvergesslicher rebellischer Punk -und Grunge Tradition direkt aus der Regent Street (wo sie auch ihr Studio hat) ausdrücklich eine Anti-Establishment Position einnimmt, wie dies einmal vor Jahrzehnten Vivian Westwood schockierend mit ihrem „verrückten“ Dress Code an den Tag legte.

Vielleicht ist dieser Schwenk in Richtung der Hybridisierung des Hässlichen für die Gefühls- und Bedürfnislage der Gegenwart doch ein richtiges Ventil.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Tenant of Culture - Autumn Cloth
12.05 - 26.06.2021

Galerie Sophie Tappeiner
1010 Wien, An der Hülben 3
Tel: +43 664 88 92 96 21
Email: info@sophietappeiner.com
http://sophietappeiner.com/
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-18, Sa 11-15 h


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